Museum

Linda Pfister, Celina Retz, Susanne Gruber, Ulrich Schmid & Prof. Dr. Sabiha Ghellal.
Veröffentlicht am 7. August 2024

Die digitale Transformation führt zu veränderten Gewohnheiten und Nutzungsverhalten im Alltag der Menschen und beeinflusst unser Lernverhalten, sei es durch soziale Medien, mobile Apps oder Games. Besonders die Informationsaufnahme und -vermittlung sowie der Transfer von Wissen verändern sich rapide. Gerade im Museumskontext sind deshalb aktuelle Formen der Wissensvermittlung erforderlich, um auf die neuen Nutzer*innenbedürfnisse zu reagieren. Doch wie lässt sich eine interaktive Wissensvermittlung in Museen etablieren und den Akteur*innen die Fähigkeiten vermitteln, selbstständig Ideen für museale Spielkonzepte zu entwickeln?

Museen und Serious Games

Museen sind Kinder der Aufklärung. Die meisten der großen europäischen Museen wurden Mitte oder Ende des 18. Jahrhunderts gegründet. Dass es sie im 21. Jahrhundert immer noch gibt und, mehr noch, viele von ihnen zu den erfolgreichsten kulturellen Institutionen der Gegenwart gehören, liegt daran, dass sie sich stets hinterfragt und immer wieder neu erfunden haben, ohne ihre Basis – die Sammlungen – aufzugeben. Die Präsentation von originalen Objekten ist Kern und Alleinstellungsmerkmal der Museen und es gehört zu ihren wichtigsten Aufgaben, einen fruchtbaren Dialog zwischen Betrachtenden und Exponaten anzustoßen.

Die digitale Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche stellt dabei auch die museale Praxis vor neue Herausforderungen – und eröffnet Chancen, ihre Attraktivität für eine Vielzahl von Besucher*innen weiter zu steigern und damit ihrem gesellschaftlichen Auftrag auch in Zukunft gerecht zu werden. Zahlreiche Museen und andere Kulturinstitutionen haben das bereits erkannt. Sie digitalisieren einerseits Sammlungsbestände und machen sie verschiedenen Öffentlichkeiten für unterschiedliche Zwecke zugänglich – die Wissenschaftsgemeinde stellt andere Ansprüche als die breite Öffentlichkeit –, andererseits werden auch die Ausstellungen zum digitalen Experimentierfeld. Zwar sind Museen in dieser Richtung durchaus aktiv, es fehlt aber nicht selten an fachlicher Expertise, zeitlichen und personellen Kapazitäten oder auch an Verständnis für die Einbindung interaktiver Formate in umfassende museale Konzepte. So können trotz des vielversprechenden Potenzials von nutzerspezifischen Serious Games als Medium des Wissenstransfers Trends und Technologien im Berufsalltag der Organisationen nur schwer etabliert werden. Die spieler*innen- bzw. nutzer*innenorientierte Natur von Games bietet ideale Voraussetzungen für ein auf individuelle Besucherbedürfnisse zugeschnittenes Museumserlebnis. Serious Games können im musealen Kontext als Vermittler und Brückenbauer zwischen einer realen Darstellung und einer abstrakten digitalisierten Präsentationsform gesehen werden. Durch die interaktiven Bestandteile können und sollen die Nutzer*innen sowohl die realen Exponate vor Ort, als auch deren digitale, spielerische Anreicherung erleben und beide Formen miteinander verknüpfen. Der Einsatz von Games in Museen kann somit als Erweiterung der Ausstellung in den digitalen Raum mit all seinen Möglichkeiten – spielerisch, didaktisch, inhaltlich – betrachtet werden. Des Weiteren eignen sich Games besonders, um das Museumserlebnis über den realen Raum hinaus zu denken und Erfahrungen vor und nach dem Museumsbesuch ganzheitlich einzuschließen. Die sich daraus ergebende Umwandlung von Offline- zu Online-Nutzung erlaubt so einen uneingeschränkten Zugang, unabhängig von geplanten, aber auch ungeplanten Schließzeiten der Museen.

Potenziale und Herausforderungen

Die Umgestaltungen des Wissenstransfers erschließt den Besucher*innen vielfältige Vorteile: Games sind motivierend, haben einen hohen Unterhaltungswert, fördern die Kreativität, begünstigen kollaboratives Arbeiten und damit den Austausch mit anderen Besuchenden sowie Museumsmacher*innen und schaffen gleichzeitig individuelle und personalisierte Museumserlebnisse. Eingebettet in das jeweilige museale Konzept wirken Games lernunterstützend und können so beispielsweise die Merkfähigkeit verbessern sowie selbstbestimmtes Arbeiten fördern. Durch Games können Besucher*innen in unterschiedliche Rollen schlüpfen, wie beispielsweise in dem von Studio Fizbin für das LWL-Museum für Kunst und Kultur Münster entwickelte und mit dem Deutschen Computerspielpreis 2015 in der Kategorie »Beste Innovation« ausgezeichnete Spiel des Friedens (Stido Fizbin, 2015). Ebenso können sie Exponate spielerisch genauer unter die Lupe nehmen wie in dem von The Good Evil für das Kölner Stadtmuseum produzierten Bretterretter (EPPSA) (The Good Evil, 2018).

Trotz der vielversprechenden Vorteile steht jedes Museum bei der Entwicklung und Integration von Games vor individuellen Herausforderungen, welche über das Etablieren geeigneter Projektstrukturen hinausgehen und auf Designebene das besucher*innenzentrierte Gestalten neuer Museumserfahrungen erfordern. Für viele Museen ist es ein Akt der Balance, durch Games die Sammlung zu erweitern, ohne diese aus dem Fokus der Besucher*innen zu rücken. Zudem wird die Tatsache, dass Besuchende gleichzeitig Spieler*innen mit unterschiedlichen Ansprüchen und Bedürfnissen sind, zu einem Drahtseilakt bei der Gestaltung von (Serious) Games im Museumskontext. Ein gelungenes Game könnte die Exponate oder das Museum aus dem Fokus rücken während die Möglichkeit besteht, dass auch negative Spielerlebnisse das Museumserlebnis beeinflussen. Unabhängig von dem spezifischen Game Design wird die Spielerfahrung im musealen Kontext durch das Museumserlebnis beeinflusst – und idealerweise ergänzt – und andersherum. Museen kennen ihre Besucher*innengruppen meist sehr gut, nehmen jedoch in der Regel keine zusätzliche Unterteilung in Spielertypen, also bezüglich deren präferierter Spielemechaniken oder -genres, vor. Abhängig von diesen persönlichen Präferenzen jedoch, werden Spieler*innen durch Game-Komponenten motiviert und können die Spiel- bzw. Museumserfahrung als positiv und lohnenswert erleben. Neben einem neuen Verständnis der Museums- und Spielwelt, welche sich gegenseitig bedingen und unterstützen, ist somit die Zielgruppe für ein individuelles Game als Teilmenge einer oder mehrerer Besucher*innengruppen zu sehen. Beeinflusst durch die Spielvorlieben und das Vorwissen der Zielgruppe sollte bei der Spielgestaltung im musealen Umfeld ein klares Spielziel ebenso wie ein eindeutiges Lernziel, gemäß dem Anspruch von Serious Games, definiert werden. Während das Spielziel beispielsweise das Vervollständigen aller Level oder ein möglichst hoher Punktestand sein kann, können konkrete Wissensinhalte ebenso wie eine Haltung oder ein Gefühl etwas Bestimmtem gegenüber das Lernziel definieren. Unabhängig davon können Games prinzipiell auf unterschiedlichen Plattformen, wie beispielsweise mobilen Endgeräten oder fest installierten Medientischen, dem Zielpublikum zugänglich gemacht werden. Dabei stellen plattformspezifische Anforderungen im musealen Kontext eine weitere Herausforderung dar: Während zum Beispiel Medieninstallationen auf den ersten Blick zum Spielen einladen sollten, müssen Online-Anwendungen oder Apps ausreichend beworben werden und durch ein stabiles WLAN-Netz vor Ort verfügbar gemacht werden.

Universum Natureworld

Im Rahmen des Förderprogramms Digitale Wege ins Museum Ⅱ (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) widmet sich das Institut für Games (IFG) der Hochschule der Medien Stuttgart in Kooperation mit dem Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart (SMNS) der Herausforderung, nachhaltige und übertragbare Entwicklungsprozesse unabhängig von individuellen Museumsansprüchen zu erforschen, um eine geeignete Herangehensweise zur Gestaltung von Games für alle Beteiligten zu finden. In einem praxisorientierten, forschungsbasierten Ansatz wird dabei untersucht, wie Spielerfahrungen an unterschiedlichste museale Kontexte angepasst und interaktiv erlebbar gemacht werden können. Mit Natureworld entwickeln die Kooperationspartner verschiedene Games für Kinder ab zehn Jahren, die zielgruppenspezifisch museale und naturwissenschaftliche Inhalte vermitteln und die Evaluation des Entwicklungsprozesses aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen. Die einzelnen Games sind durch transmediales Storytelling verknüpft, d.h., sie machen Handlungsstränge rund um das fiktive Story-Universum Natureworld eingebettet in verschiedene Medien erlebbar. Zielgruppengerechte, sogenannte Anker-Charaktere unterstützen den Eintritt in diese fiktive Welt und bilden gleichzeitig verschiedene wissenschaftliche Berufs- und Forschungsfelder des Museums ab. Die Einzelanwendungen bespielen unterschiedliche Plattformen und sind so z.B. mobil durch eine Orts- bzw. Location-basierte App zur Untersuchung von virtuellen Kamerafallen rund um das Museum oder auf der Museumshomepage als das browserbasierte Abgetaucht – ein Fischlernspiel (HdM Stuttgart, 2019) nutzbar. So werden einerseits unterschiedliche Einstiegspunkte in die Spielwelt ermöglicht und gleichzeitig eine breite Forschungsbasis zur empirischen Evaluation von Games in Museen bereitgestellt. Um Raum für innovative Ideen zu schaffen und die Nutzungsbedürfnisse optimal zu erfüllen, basiert die Forschung auf einem iterativen, d.h. sich wiederholenden, nutzerzentrierten Designansatz, welcher sich auf regelmäßiges Testen und Beurteilen mit der Zielgruppe stützt. Dabei hat sich bereits gezeigt, dass ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg in einer von Anfang an eng verzahnten interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Game Designern, Fachexpert*innen, User Researchern, Didaktiker*innen, Game Artists, sowie -Programmierenden liegt, um die Museums- und Spielwelt zu verschmelzen und das optimale Erlebnis für die Zielgruppe zu kreieren. Um die Ergebnisse für zukünftige Projekte und Institutionen zugänglich, übertragbar und anwendbar zu machen, werden die einzelnen Entwicklungsschritte in Hinblick auf den Designprozess kontinuierlich beurteilt und die Anwendbarkeit gängiger wissenschaftlicher Konzepte im Kontext des Museums als übergeordnetem Raum reflektiert.

Das Game Design Workshop Toolkit

Mit dem Ziel, Museen die Fähigkeiten zu vermitteln selbstständig spielebasierte Konzepte zu entwickeln, die dann in Auftrag gegeben werden können, ist im Rahmen des Projektes ein Game Design Workshop Toolkit (Werkzeugkasten) entstanden. Dieser ist bewusst für Menschen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen im Bereich des Game Design gestaltet und kann als eine Art Anleitung und Blaupause verstanden werden, um möglichst schnell eigene, besucher*innenzentrierte Spielideen zu entwickeln. Das Toolkit vermittelt theoretische Grundlagen zum Thema Spieler*innentypen und Spielkomponenten, um Nicht-Game-Designer*innen das wichtigste Basiswissen für die Entwicklung bereitzustellen. Es unterstützt bei der Definition von und Differenzierung zwischen Besucher*innen und Spieler*innen innerhalb einer Zielgruppe und ermöglicht die schnelle Entwicklung von nutzer*innenorientierten Spielideen im musealen Kontext. Folgt man der Schritt-für-Schritt-Anleitung des Toolkits, stehen außerdem Spielziel und Lernziel als Kernelemente guter Serious Games im Fokus der Designer*innen. In möglichst interdisziplinären Teams können so individuelle Konzepte unter Berücksichtigung allgemeiner Herausforderungen entwickelt werden. Um das Toolkit weiter auf seine Einsetzbarkeit in unterschiedlichen musealen Kontexten zu überprüfen, die Forschungsbasis der Studie zu vergrößern und neue Erkenntnisse zur weiteren Verbesserungen zu erhalten, ist es notwendig, das Game Design Toolkit auch in Zukunft weiter zu testen und anzuwenden. Das Toolkit wird deshalb kostenlos auf der Homepage des Instituts für Games der Hochschule der Medien Stuttgart zur Verfügung gestellt.

Um auf die veränderten Nutzungsgewohnheiten von potenziellen Museumsbesucher*innen zu reagieren, können Serious Games zukünftig eine tragende Rolle einnehmen. Diese sollten nicht nur als Zusatz, sondern als integraler Bestandteil musealer Kontexte etabliert werden. Die Nutzung des vorgestellten Game Design Toolkits könnte dazu beitragen, Besucher*innen als Spieler*innen zu verstehen, das Spielziel ebenso wie das Vermittlungsziel gleichermaßen im Blick zu behalten und dabei nutzer*innenorientierte Game-Mechaniken zu entwickeln. Für das Institut für Games an der Hochschule der Medien in Stuttgart stellt es eine Basis für weiterer Forschung dar und kann Museen und kulturelle Einrichtungen bei der praktischen Umsetzung begleiten. So kann vermieden werden, Nutzer*innen und deren Spielpräferenzen aus dem Auge zu verlieren oder die Sammlung und Inhalte des Museums zu vernachlässigen.

Linda Pfister und Celina Retz sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Games der Hochschule der Medien Stuttgart.

Susanne Grube ist Mitarbeiterin für Wissenskommunikation am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart.

Ulrich Schmid ist Leiter der Abteilung Kommunikation am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart.

Sabiha Ghellal ist Professorin am Institut für Games der Hochschule der Medien Stuttgart.

Literatur

  • Game Design Workshop Toolkit. Institut für Games 2020: hdm-stuttgart.de/ifg/forschung/gdtoolkit/
  • Vermeeren, Arnold; Calvi, Licia; Sabiescu, Amalia (Hrsg.): Museum Experience Design – Crowds, Ecosystems and Novel Technologies. Springer International, Basel 2018
  • Wehrstedt, Sebastian: Gaming im Museum – A dancer in the dark. Museums-Blog 2017: museums-blog.de/gaming

 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich und in unveränderter Fassung veröffentlicht in: Olaf Zimmermann & Felix Falk (Hg.): Handbuch Gameskultur. Über die Kulturwelten von Games. Berlin, 2020, S. 131 – 135.