Let’s Continue Remembering! – Ein Rückblick auf „Let’s Remember!“

Matej Samide & Christian Huberts
Veröffentlicht am 5. September 2024

Das Projekt Let’s Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort beschäftigte sich in den Jahren 2023 und 2024 damit, wie man mit einer durch Games getragenen Erinnerungskultur zum NS-Unrecht im Dialog mit Gedenkstätten, Museen und kulturellen Begegnungsorten den digitalen Erinnerungsort Games mit physischen Erinnerungsorten verbinden kann. Dabei baute das Projekt auf die Erfahrungen der Initiative: Erinnern mit Games auf und erweiterte die bereits bestehende Datenbank: Games und Erinnerungskultur um neue Einträge, sodass die Datenbank nun über 80 digitale Spiele erinnerungskulturell einordnet. Als Höhepunkt entstand dieses Themenportal, das die im Projekt entstandenen Materialien an einem Ort vereint, wie dieses Video, das auf das erste Projektjahr zurückblickt.  

Video: Rückblick auf das Projektjahr 2023

Erinnerungskultur mit Games vor Ort 

Das Herzstück von Let’s Remember! waren die Termine Vor Ort bei denen Mitarbeiter*innen von Lern- und Gedenkorten in Fortbildungsformaten die Einsatzmöglichkeiten von Games in der erinnerungskulturellen Bildungsarbeit nähergebracht wurden. Dabei organisierte das Projekt Fortbildungen im Max Mannheimer Studienzentrum Dachau, dem Anne Frank Zentrum Berlin, der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, der Akademie für politische Bildung Tutzingen, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Gedenkstätte Roter Ochse in Halle (Saale), dem Gedenkort Vogelsang Internationaler Platz im Nationalpark Eifel und der Gedenkstätte Hadamar. Darüber hinaus wurden Vermittlungsformate wie Spielungen und Workshops am Museum für Kommunikation Nürnberg, dem Max Mannheimer Studienzentrum Dachau, dem Anne Frank Zentrum Berlin, der Gedenkstätte Roter Ochse in Halle (Saale) und der Gedenkstätte Hadamar durchgeführt.  

Hinzu kamen drei Livestreams auf der Plattform Twitch, die die digitale Erinnerungskultur in Games mit Erinnerungskultur Vor Ort verbanden und sie in den sozialen Ort von Twitch-Communities transportierten. In den Streams mit den Content Creator*innen Maurice Weber, FiNessi und Nils Bomhoff wurden unterschiedliche Games sowie physische Erinnerungsorte in Berlin und Hamburg betrachtet und im Zwiegespräch mit der Community besprochen.  

Ein Themenportal für die Zukunft 

Dokumentationen der Vermittlungsformate wurden gemeinsam mit Materialien zur Durchführung von Fortbildungen und einer Auswahl weiterer Lehrreicher Materialien aus dem Bereich Games und Erinnerungskultur, in diesem Themenportal, das den krönenden Abschluss des Projekts bildet, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. So können die Vermittlungs- und Fortbildungsformate auch nach Projektende weiter zu einer Verstetigung des Einsatzes von digitalen Spielen in der erinnerungskulturellen Arbeit beitragen. 

Vier Learnings aus "Let's Remember!"

Der Projektleiter von Let’s Remember!, Christian Huberts, formulierte in seinem, Past Mortem genannten, Abschlussvortrag beim gamescom congress 2024 folgende vier Learnings aus dem Projekt:  

  • Spielekultur und Erinnerungskultur gehören zusammen

    Schon vor der Erfindung der digitalen Spiele wurde Wissen spielerisch vermittelt. Ein Beispiel mit Bezug zum NS-Unrecht, das auch in der Fortbildung von Mitarbeiter*innen von Lern- und Gedenkorte genutzt wird, bildet das Monopoly-Spiel von Oswald Poeck aus dem Ghetto Theresienstadt.  
    Auch in der Gegenwart sind (digitale) Spiele zunehmend selbstverständlicher Bestandteil der erinnerungskulturellen Arbeit, so entwickeln beispielsweise immer mehr Lern- und Gedenkorte eigene Games in Zusammenarbeit mit Spielentwickler*innen. Beispielsweise das Spiel Spuren auf Papier, das in Zusammenarbeit des Entwicklungsstudios Playing History und der Gedenkstätte Wehnen entstanden ist. 

    Spuren auf Papier

    Thema: Holocaust, Nationalsozialistische Herrschaft
    Erscheinungsjahr: 2022

    Auch ohne eigenes Spiel gibt es bei Mitarbeiter*innen an Lern- und Gedenkorten immer mehr Interesse am Einsatz von digitalen Spielen in der Erinnerungsarbeit. Die Evaluation unserer Fortbildung hat ergeben, dass sich 83% der Teilnehmenden grundsätzlich vorstellen können, Games in Ihrer Arbeit einzusetzen. Rund die Hälfte gibt aber an, dafür noch mehr Input und Materialien zu benötigen.  

  • Jedes Game ist geeignet, um zu erinnern – aber es kommt auf den Nutzungskontext an

    Die entscheidende Frage ist weniger, welches Spiel am besten für die Vermittlung von Erinnerungskultur geeignet ist, sondern in welchem Kontext ein Spiel eingesetzt wird. Gerade im Schulkontext sind Serious Games ein echter Mehrwert – insbesondere im Vergleich zur VHS-Sichtung in der letzten Schulstunde vor den Ferien. Aber auch Spiele, die nicht als Serious Games zur Wissensvermittlung entwickelt wurden, können Serious betrachtet werden – wir nennen das Serious Gaming.
    Natürlich kann man ein Spiel wie
    Assassin‘s Creed III: Liberation einfach als unterhaltsames Game spielen. Es fordert die Spielenden aufgrund seiner Steuerungsherausforderungen und fasziniert mit einer atmosphärischen, überzeugend historisch anmutenden Spielwelt. Tatsächlich können mit dem Spiel aber gesellschaftlich wie erinnerungskulturell höchst relevante Komplexe thematisiert werden, z.B. über die Heldin des Spiels. Denn dabei handelt es sich um Aveline de Grandpré, also eine Assassinin, sodass z.B. weibliche Handlungsmacht oder historisch-politische Rollen von Frauen diskutiert werden können. Darüber hinaus erlaubt es Avelines Identität als Free Woman of Colour, über die historische Konstruktion von race sowie Kolonialhierarchien zu sprechen und zu analysieren, wie das Spiel diese (de-)konstruiert.

    Assassin’s Creed III: Liberation

    Thema: Kolonialismus
    Erscheinungsjahr: 2012

    Ansätze zur erinnerungskulturellen Betrachtung mehrerer populärer Games finden sich in unserer Datenbank: Games und Erinnerungskultur. Zum Einsatz von Games im Geschichtsunterricht hat Dr. Lucas Haasis eine Handreichung für dieses Themenportal erstellt.  

  • Games als Vermittlungswerkzeug entfalten ihr Potential beim Entwickeln von Games

    Im Gegensatz zu anderen Medienformen wie Literatur und Film verfügen Games über besondere, motivierende Eigenschaften, die zur Auseinandersetzung mit ihren Inhalten anregen. Durch die Entwicklung eigener Spiele-Prototypen in Schüler*innen-Workshops konnte diese Involvierung maximiert werden.  
    Die Teilnehmenden müssen sich mit Möglichkeiten und Grenzen der Interaktivität auseinandersetzen, historische Inhalte (z.B. Biografien von Opfern und Täter*innen) gemeinsam auswählen und diskutieren, involvierende und gleichzeitig sensible Probleme definieren, sowie immersive Räume und Erzählungen schaffen. Gerahmt durch pädagogische Betreuung schafft dies viele Gesprächsanlässe und mögliche Lerneffekte in Bezug auf Handlungsspielräume historischer Akteur*innen, (Handlungs-)Verantwortung, Geschichtlichkeit und eine Ethik des Erinnerns.  

    Eindrücke aus dem Schüler*innen-Workshop in Hadamar

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  • Gaming-Communities sind Orte der Erinnerungskultur und sollten gestärkt werden

    Klassische Definitionen des Spielens werden oft als Trennung des Spiels von allen ernsten Aspekten unseres Alltags, z.B. Politik, Unrecht, Marginalisierung etc., verstanden, allen voran die Definition des niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga in seinem Standardwerk Homo Ludens (Huizinga, Johan (1981) Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel). Das ist jedoch ein Missverständnis. Alles – unsere gesamte Kultur – ist Produkt des Spielens. Nicht der Ernst des Spielthemas ist entscheidend, sondern die Abwesenheit ernster Konsequenzen. Spiele sind ein geschützter Raum, in dem sich Gemeinschaften finden können und ohne zwingende Folgen für ihren Alltag alle möglichen Positionen, Handlungen und Ideen spielerisch erproben können. Alle möglichen Positionen schließt jedoch selbstverständlich jene aus, die wiederum ernste Folgen für den Alltag der anderen Spielenden hätten.
    Das zeigt sich auch in vielen Bereichen und Gemeinschaften der Spielekultur. „Let‘s Remember!“ besuchte Gedenkorte mit Gaming-Streamer*innen, die gamescom widmet sich dem Schutz der Demokratie und im E-Sport wird „Fair Play“ vermittelt und gelebt. Unterhaltung und ernste Auseinandersetzung sind hier nicht immer ohne Reibung, aber auch kein Widerspruch. Für die Erinnerungskultur besteht hier großes Potential, das in Zukunft weiter gefördert werden muss.
    Gleichzeitig sind Gaming-Communities auch durch Einflussnahme von Falschspielern bedroht, die nur zum Schein mitspielen. Etwa Rechtsextreme Kräfte, die Spiele als Projektionsfläche ihrer geschichtsrevisionistischen Propaganda nutzen. Daher ist es umso wichtiger, dass erinnerungskulturelle Lücken in Computerspielen offen diskutiert und im besten Fall geschlossen werden.
    Wie Johan Huizinga – nach heutigen politischen Maßstäben eher als konservativer Hardliner zu betrachten – selbst mit Falschspielern umgegangen ist, zeigt eine Anekdote über ihn, an die leider viel zu selten erinnert wird:
    Kurz vor Ende einer im April 1933 an der Leidener Universität stattfindenden französisch-deutsch-englisch-niederländischen Tagung des International Student Service lud Huizinga als Rektor der Universität den als Leiter der deutschen Delegation anwesenden Nationalsozialisten Johann von Leers zu einem Gespräch ein und befragte ihn über die von diesem verfasste antisemitische Hetzschrift mit dem Titel: „Forderung der Stunde: Juden raus!“, von der er kurz zuvor Kenntnis erhalten hatte. In diesem Werk, das erstmals 1928 erschienen war, griff Leers das Klischee antisemitischer Ritualmordlegenden aus dem Mittelalter auf. Leers verteidigte seine antisemitische Haltung und seine Broschüre mit wenig überzeugenden Argumenten. Daraufhin bat ihn der Rektor, die Universität und damit die Tagung zu verlassen, und verabschiedete ihn ohne Handschlag. Huizinga sah die Idee der Tagung, die dem internationalen akademischen Austausch diente, verletzt. Auf Grund dieser Zurechtweisung reiste die deutsche Delegation ab, und die Konferenz wurde einen Tag früher beendet. (Quelle: Van Nuland, Merijn (2019): How Johan Huizinga sent the Nazis packing, https://www.universiteitleiden.nl/en/news/2019/08/how-johan-huizinga-sent-the-nazis-packing.)
    Starke Communities brauchen Moderation und müssen dabei unterstützt und gestärkt werden. Wie bereichernd eine gut moderierte Community sein kann, haben wir nicht zuletzt bei den Live-Streams im Rahmen von Let’s Remember! Mitbekommen, bei denen im Chat konstruktive Diskussionen zu erinnerungskulturellen Themen stattfinden konnten, auch weil Falschspieler – die in diesem Kontext gemeinhin als Trolle bezeichnet werden – nicht die Gelegenheit bekamen, das gemeinsame Spiel zu stören.  

    Eindrücke aus dem Stream mit Maurice Weber

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Den Endpunkt von Let’s Remember! bildete ein Podiumsgespräch auf dem gamescom congress 2024 mit der Fragestellung: „Lets Continue?“, das einen Ausblick auf die Zukunft der digitalen Erinnerungskultur mit Games gab. In diesem Sinne sei dieser Text mit einem Ausruf beendet: Let’s Continue! Ein Blick auf die Games-Landschaft zeigt, Spiele mit erinnerungskulturellem Potential sind überall und eine Auseinandersetzung mit Ihnen ist bereichernd, lehrreich und notwendig.