Games und Erinnerungskultur: Interaktion als Schnittstelle
Erinnern als interaktiver Prozess in der analogen und digitalen Erinnerungskultur.
Die von digitalen Spielen heutzutage abgedeckte Bandbreite ist immens: Von den die Grenzen moderner Hardware ausreizenden Blockbuster-Titeln über auf Monetarisierung getrimmte Mobile-Games, von der Gamification professioneller Prozesse bis hin zu obskuren und hoch-abstrakten Indie-Titeln umschließt die Kategorie „Games“ eine Diversität wie kaum ein anderes Kulturgut. Das einende Band, die Gemeinsamkeit, die selbst zwischen Fortnite (Epic Games, 2017) und Undertale (Toby Fox, 2015) besteht, liegt in der Interaktivität des Mediums, in der Auseinandersetzung und Manipulation der gegebenen Spielmechaniken durch die Nutzer*innen. Dies ist die spezifische, emergente Sprache digitaler Spiele, erst hierdurch werden sie zu mehr als einer bloßen Verbindung von Bild, Ton und Text.
Und es ist auch hier, in der Interaktivität des Mediums, wo die Schnittstelle zur Erinnerungskultur besteht. Denn „Erinnern“, sei es als individueller oder gemeinsamer, institutionalisierter oder spontaner Akt, ist im Kern ebenfalls Interaktion: Zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen Menschen untereinander und zwischen Individuum und Gesellschaft. Eine zukunftsorientierte Erinnerungskultur bedeutet, diese Interaktivität zu forcieren, indem sie Vergangenheit nicht als starren Monolithen präsentiert, dessen vorgebliche Objektivität hinzunehmen ist. Stattdessen macht sie ein Angebot zur Auseinandersetzung, in der wir unserer eigenen geschichtlichen und gesellschaftlichen Verbundenheit gewahr werden können. Erst so wird erzählte Geschichte zu unserer eigenen und wir infolge auch selbst zu Erinnernden. Damit knüpft Erinnerungskultur fortwährend ein Band, das von der Vergangenheit in die Zukunft weist.
Hierfür bedienen sich erinnerungskulturelle Akteur*innen seit jeher einer Vielfalt kultureller Medien, durch die sie über die eindeutige Lokalisation der Gedenkorte hinaus zu der Gesamtheit des Erinnerns beitragen. Auffällig ist jedoch, dass digitale Spiele, von wenigen Ausnahmen abgesehen, für diese Aufgabe bislang noch nicht genügend erfasst wurden. Viele Bedenken und Vorbehalte hiergegen, nicht zuletzt die Skepsis gegenüber der Möglichkeit eines würdevollen, nicht bagatellisierenden Einsatzes, sind wichtig und müssen diskutiert werden. Verkehrt wäre jedoch, daraus generellen Abstand von dem Medium zu nehmen und dadurch dessen Potenzial zu ignorieren. Dies würde nur bedeuten, sich einem Feld zu verschließen, in dem Spiele längst etabliert sind.
Denn seit jeher kristallisieren sich in Spielen Modi der Geschichtsvermittlung nicht einfach durch das Gezeigte, sondern auch in den Spielmechaniken selbst: Wer beispielsweise in Civilization (MicroProse, 1991) eine Nation als Katharina die Große oder Ghandi durch die Weltgeschichte führt, bekommt nicht nur optisch historische Figuren präsentiert, sondern interagiert mit der Spielwelt auf eine Weise, die spezifisch west-europäische Vorstellungen von „Wachstum“, „Fortschritt“ und „Zivilisation“ transportiert – ganz ohne, dass das Spiel sie ausspricht. Oder das Strategiespiel Hearts of Iron IV (Paradox Development Studio, 2016) dass den Zweiten Weltkrieg als strategisch interessante Feldherren-Simulation abbildet und dafür – weil irrelevant für den Spielzweck – dadurch von allen Elementen des Massenmords und der Vernichtung befreit. Auf wortwörtlich spielende Weise wird hier durch Interaktion Geschichte vermittelt und auf diese Weise auch zu einem gesellschaftlichen (Nicht-)Erinnern beigetragen. Es wäre fatal, solche Ausdrucksweisen des Mediums, die kritisch diskutiert werden müssen, als dessen inhärente Eigenschaften misszuverstehen. Stattdessen muss die Entwicklung eigener Spiele als Möglichkeit der erinnerungskulturellen Intervention gefasst werden.
Gedenkorte und erinnerungskulturelle Akteur*innen mit Offenheit für gespielte und spielerische Vermittlungsformen sollten sich daher nicht fragen, ob sie ein digitales Spiel entwickeln wollen, sondern, wie sie mittels der spezifischen Sprache des Mediums in diesem Sinne einen diskursiven Beitrag leisten können. Im Mittelpunkt muss die Frage stehen, wie sich Erinnern interaktiv darstellen, erfahren und fortführen lässt. Hierauf eine Antwort zu suchen, erfordert die Bereitschaft und den Mut unbekannte Wege zu gehen und Experimente zu riskieren. Doch nur so lässt sich die Welt der digitalen Spiele als ein neuer Erinnerungsraum erschließen, den Akteur*innen der Erinnerungskultur, Spieleentwickler*innen und nicht zuletzt die Spielenden selbst gemeinsam aktiv gestalten werden.
Markus Bassermann ist ist Projektleitung für die Entwicklung des Digital Remembrance Games „Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm.“, ein gemeinsames Projekt der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen und der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, gefördert durch die Alfred Landecker Stiftung. Außerdem ist er Mitglied m Expert*innen-Gremium des Projekts „Let’s Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort“ der Stiftung Digitale Spielekultur.