Forschung

Spielerisches Erinnern an den Holocaust?

Call of Duty: WWII (Activision Publishing, Inc., 2017)
Call of Duty: WWII (Activision Publishing, Inc., 2017)

Vielleicht ist es der Notwendigkeit geschuldet, dass wir uns im Rahmen der vielen Einschränkungen durch die CoVid19-Pandemie immer mehr auf digitale Kommunikations- und Austauschformate einlassen. Womöglich ist es auch eine natürliche Entwicklung in Praxis und Forschung, dass eine anfängliche Scheu allmählich überwunden wird. Festzustellen ist jedenfalls, dass wenige Felder so wachsen und sich entwickeln wie die digitalen Erinnerungskulturen um den Holocaust. Es ist eine Zeit der Veränderungen, in der neue Impulse entstehen und Denkgrenzen überwunden werden. Gerade das zunehmende Interesse an digitalen Spielen als wirkungsvollen Erinnerungsmedien zeigt diese Veränderungen explizit auf.

Digitale Spiele als Erinnerungsmedien

Die Beziehung von Spielen und Geschichte ist eng verknüpft, aber kompliziert: Nur wenige Themen sind so faszinierend wie die Erfahrung vergangener Welten auf unseren Bildschirmen. Gleichzeitig ist mittlerweile auch klar, wie wenig diese Versionen von Geschichte mit der tatsächlichen Vergangenheit zu tun haben. Als kulturelle Medien repräsentieren digitale Spiele vielmehr unsere gegenwärtigen Vorstellungen über die Vergangenheit. Gerade das macht ihre Welten mitunter auch so attraktiv ­– nämlich wenn wir als Spieler*innen unsere mitgebrachten Vorstellungen in einer Spielatmosphäre, der Spielwelt und ihren Charakteren wiederfinden und bestätigt sehen.

Das Faszinosum von digitalen Spielen scheint gerade darauf zu fußen, dass wir uns als Spieler*innen als aktive Parteien in der Ausgestaltung eben solcher Bestätigungen erleben dürfen. Wir werden mit keinem fertigen „Endprodukt“ konfrontiert, sondern haben – wenn auch durch das jeweilige Spielsystem und seine Regeln eingeschränkte – Handlungsmöglichkeiten. Als Spieler*innen treffen wir Entscheidungen, ziehen Schlüsse und handeln, während das Spiel unsere Eingaben in sein Setting überträgt und darauf reagiert. Es sind also die vielfältigen Involvierungsmodi, die das spielerische Erleben so unterhaltsam, eindringlich, berührend, im Allgemeinen jedenfalls bedeutsam gestalten. Der Integration von Geschichte in einem Spiel kann daher, vereinfacht ausgedrückt, auf zweierlei Ebenen nachgespürt werden: einerseits über die Gestaltung der Spielwelt, ihre Ästhetik, die Objekte sowie die integrierten Charaktere, kurzum darüber, was im Spiel dargestellt wird. Andererseits jedoch spielen auch die Zugriffsmöglichkeiten der Spieler*innen, also die Art und Weise, wie sie auf das Geschehen im Spiel zugreifen und mit diesem interagieren können, eine große Rolle. Rhythmus und Bewegung bilden damit die zentralen Momente von Geschichtserfahrungen in digitalen Spielen.

Diese Qualitäten machen digitale Spiele auch zu wirkungsvollen Erinnerungsmedien um den Holocaust. Wie Felix Zimmermann in seinem Beitrag bereits betont hat, war die Geschichte von digitalen Spielen und der Erinnerung an den Holocaust bisher vor allem durch dessen Absenz geprägt: Obwohl die Periode des Zweiten Weltkriegs eine der beliebten historischen Spielszenarien bildet, blieb der Holocaust von den meisten Spielen als Vermeidungsstrategie einer „voreilige[n] Zensur“, wie es Eugen Pfister formuliert hat, unerwähnt, ausgeblendet, verschwiegen. Dies ist nun nicht mehr ausschließlich der Fall. Tatsächlich wird der Holocaust mittlerweile sogar in unterschiedlichen Genres und Formaten thematisiert; teilweise höchst marginalisiert, teilweise unter der Zuhilfenahme eines fantastischen oder alternativ-historischen Kontexts verzerrt, jedoch teilweise bereits bewusst im Hinblick auf das pädagogisch-erinnerungskulturelle Vermittlungspotenzial des Mediums aufbereitet. Die Kontaktsphäre von Erinnerungsdiskursen und der Gamebranche entwickelt sich also kontinuierlich weiter und zeigt: Die Erinnerung um den Holocaust beschäftigt junge Menschen nach wie vor so stark, dass sie als Akteur*innen an dessen Erinnerung teilhaben und selbstwirksam die Erinnerungskultur(en) mitgestalten wollen.

Digitale Spiele und das mediale Gedächtnis

Wenn man nun einen genaueren Blick auf die besondere Qualität von digitalen Spielen als Erinnerungsmedien werfen möchte, dann gilt es bei allen besonderen Qualitäten dieses Mediums nicht zu vergessen, dass sie keineswegs ein leeres Feld betreten. Vielmehr ist das digitale Erinnerungsnetzwerk, Andrew Hoskins definierte es bereits 2009 als „digital memory network“, dadurch gekennzeichnet, dass unendlich viele, multimediale Zugänge zur Geschichte in reziproken Verknüpfungen stehen, auf einander aufbauen, verweisen, reagieren. Um digitale Spiele daher in ihrer erinnerungskulturellen Wirkungsweise begreifen zu können, müssen gerade ihre Beziehungen und Verweise zu dem bereits bestehenden Geflecht an (digitalen) Erinnerungszugängen Berücksichtigung finden. Sie treten ein in ein Gewebe aus unterschiedlichsten medialisierten Darstellungsformen, die mittlerweile die vorherrschenden Bilder und Narrative um den Holocaust prägen. Tobias Ebbrecht-Hartmann entwickelte 2011 für diese Vorstellungssphäre den Ausdruck des „medialen Gedächtnisses“. Dieses Gedächtnis wird nach Ebbrecht-Hartmann durch die konstanten medialen Produktionen geordnet sowie homogenisiert und besetzt somit die vorherrschenden Vorstellungswelten über die Geschichte.

Mittlerweile sind aus diesen Ordnungsprozessen „Superzeichen“ bzw. konkrete „Geschichtsbilder“ hervorgegangen, auf welche wiederholt referiert wird. Dazu zählen, um nur einige Beispiele Ebbrecht-Hartmanns zu nennen, die Konzentrationslager, insbesondere Auschwitz, deren Tore mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“, der gelbe Judenstern, genauso auch jüdische Schicksale als hauptsächlich fokussierte Opfernarrative oder die Inszenierung von Kindern als personifizierte Stellvertreter*innen der unschuldigen Verfolgung durch ein unmenschliches System.

Das mediale Gedächtnis des Holocaust hat somit wiedererkennbare Themen sowie korrespondierende Darstellungsschemata hervorgebracht, auf welche sich die Mehrheit gerade popkultureller Repräsentationen bezieht. Digitale Spiele bilden hierbei keine Ausnahme. Auch sie stützen sich größtenteils auf diese wieder erkennbaren Geschichtsikonen bzw. konventionalisierten Darstellungs- wie Erzählformen. In seinem historischen Überblick über digitale Spiele als Erinnerungsmedien an den Holocaust betont Eugen Pfister gerade, wie eng sich diese – z.B. in der Übernahme des klassischen Heldenepos’ – gerade am Primat des Films orientier(t)en.

Die audiovisuellen Geschichtsbilder des medialen Gedächtnisses bilden also prägende Strukturelemente, woran sich eine Vielzahl der historischen Spielwelten orientieren. Diese Bilder, als Komplexe bestimmter Motive wie auch Darstellungsformen, beeinflussen dadurch deren Ausgestaltungen. Das Spielen selbst kann hierbei als Prozess des Entdeckens, des Nachspürens eben dieser Bezugsformen des medialen Gedächtnisses begriffen werden: Sofern die Spieler*innen Vorerfahrungen mit der medialisierten Erinnerungssphäre um den Holocaust besitzen, können die angebotenen Geschichtsbilder über den Spielkontext hinaus gedeutet und mit dem medialen Gedächtnis um den Holocaust verknüpft werden. Die Betonung liegt dabei auf „kann“, denn auch ohne diese spielerische Transferleistung bleibt ein Spiel spielbar. Es wirkt dann jedoch weniger als Erinnerungsmedium.

Ein kurzer Blick auf den Epilog des First Person Shooters Call of Duty World War II (Sledgehammer 2017) soll hier illustrieren, wie sehr Spielinszenierung mitunter auf die bereits etablierten Erinnerungstopoi des medialen Gedächtnisses um den Holocaust zurückgreifen: Auf der Suche nach dem entführten – jüdischen – Mitglied eines Squads entdecken dessen Kameraden ein kurz zuvor verlassenes Lager. Streng genommen handelt sich dabei um ein Lager für POWs, also ein Internierungslager für gefangene Soldaten. Das narrative Setting vermischt diese Abgrenzung jedoch: Nicht nur wird der verschleppte Zussman in erster Linie dorthin verschleppt, da er Jude und nicht Amerikaner ist, sondern diese Entdeckung wird in eine Auffindungsreihe von weiteren Lagern eingebettet, auf die das Squad zuvor stößt: Darunter befinden sich, so suggerieren die eingeblendeten Fotographien, Arbeits- und Konzentrationslager. Durch dieses verschwommene Narrativ produziert das Spiel somit geradezu einen „Prototyp“ der medialisierten Darstellungstradition von nationalsozialistischen Arbeitslagern und deren dramatischer Inszenierung: Dazu zählen, um wiederum nur einige zentrale Elemente zu nennen, der Stacheldraht, die Barracken, der Ascheregen sowie melancholische Violinmusik als begleitender Soundtrack, jedoch noch drastischer die Leichen von Gefangenen, die von der erlittenen Brutalität im Lager zeugen. Anders ausgedrückt begegnen die Spielenden in der Begehung des Lagers in Call of Duty erneut bereits etablierten Darstellungsmustern des medialen Gedächtnisses; indem sie diese durch ihre Bewegung im Spielraum selbst entdecken und somit (scheinbar) eigenständig wiederfinden können, bestätigt diese Inszenierung die individuellen Vorstellungsbilder und lässt sich in den Erinnerungsdiskurs um den Holocaust einordnen.

„Bezeugen“ als Handlungsparadigma der Erinnerungskulturen?

Wie bereits angeführt, liegt der große Reiz des Spielens in seinem explorativen Charakter. Keine Kameraführung gibt unsere Blickrichtung vor, kein*e Autor*in legt die Abfolge von Szenen fest. Vielmehr kann die Begegnung mit der Spielwelt als Ergebnis eigener Bewegungen und Entscheidungen empfunden werden. Natürlich, dies darf bei allem Freiheitsgefühl nicht vergessen werden, sind auch diese Bewegungen begrenzt und alle Entscheidungen, die getroffen werden, erfolgen unter den Reglementierungen des Spielsystems: Ich kann womöglich entscheiden, einen Gegner zu erschießen oder nicht, aber ich kann ihn nicht „nur“ kampfunfähig machen oder sogar ein Gespräch mit ihm beginnen. Innerhalb dieser Einschränkungen jedoch können sich Spieler*innen als primär handelnde Akteur*innen wahrnehmen, die zwischen ihren gegenwärtigen Körpern vor den Bildschirmen und ihren Avataren innerhalb der spielerischen Vergangenheit vermitteln.

Eine solche Vermittlungsposition zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist insbesondere in den Erinnerungskulturen des Holocausts eine hochaufgeladene und zentrale Position. Sie wurde bisher in erster Linie von den Zeitzeug*innen eingenommen. Die Überlebenden prägten mit ihren Berichten, Zeugnissen, Ego-Dokumenten und Gesprächen die ersten Eindrücke, welche die nachgeborenen Generationen von den grausamen Ereignissen des Holocausts gewannen. Sie führten in ihren Beschreibungen, wie dies z.B. besonders eindrucksvoll mit Schilderungen der Auswahlen an den Bahnhofsrampen von Auschwitz geschah, somit bereits die ersten zentralen Narrative und Bilder in die Diskurse ein.

Ihr prägender Einfluss stammt darüber hinaus von ihrer Etablierung als eben solche Figur der Vermittlung zwischen der bezeugten Vergangenheit und der Gegenwart, für die das Bezeugte prospektive Bedeutung gewinnt. Die Zeitzeug*innen bilden hierbei jedoch keineswegs neutrale Mittler*innen, sondern haben selbst Zuschreibungen erhalten, wie sie z.B. Martin Sabrow in seinem Sammelband Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945 nachverfolgt. Zwei der zentralen Eigenschaften von Zeitzeug*innen seien an dieser Stelle hervorgehoben:

Zum einen verkörpern sie den Wahrheitsanspruch ihrer Aussagen. Ihre Präsenz des gleichzeitigen „Hier-Sein“s bzw. „Dort-Gewesensein“s wird durch ihre Körper ausgedrückt. Somit fußt ihre Aussagekraft auf ihre körperliche Präsenz, ihre Sinnesaktivität, die sie erst zu Zeug*innen werden ließen: Sie haben die Vergangenheit erlebt, gesehen, gehört, gefühlt. Die Zeugnisse der Zeitzeug*innen erhalten ihre berührende, ihre involvierende, Wirkungskraft durch eben solche Verweise der Doppelpräsenz ihrer Träger*innen.

Zum anderen sind die Zeugnisse um den Holocaust durch die intrinsische Motivation der Wahrheitsemission geprägt. Alle Beschreibungen dienen zum Zweck, die Vergangenheit zu kommunizieren und damit an die Nachgeborenen weiterzugeben. Daher betont u.a. Aleida Assmann die zugeschriebene Moralität dieser Zeugenschaft. In diese eingebettet liegt der (in-)direkte Impuls, dass diese Zeugnisse weitergegeben werden müssen, dass diese signifikante Geschichte auch zukünftige Generationen erreicht. Die Genealogie von Zeugenschaft ist im Falle des Holocaust in die Strukturen der Erinnerungskulturen hineingebettet. Konzepte der „sekundären Zeugenschaft“, die z.B. Ulrich Baer den Gesprächspartner*innen von Zeizeug*innen-Interviews attestiert, sowie bereits der „tertiären Zeugenschaft“, die Caroline Wake für die Rezipient*innen von Videoaufnahmen eben solcher Zeitzeug*innen-Interviews konzeptualisierte, betonen die Wirksamkeit dieser genealogischen Vorstellung.

Spielen und bezeugen?

Unter dieser Perspektive, nämlich dem Impuls der weiterzugebenden Zeugenschaft, erscheinen die spielerischen Handlungen in digitalen Spielen doppelt aufgeladen: Nicht nur, dass sich die Spielenden dadurch der Spielwelt und deren Bezügen zum medialen Gedächtnis vergewissern können. Sondern gerade die Handlungen selbst entfalten sich unter eben jenem erinnerungskulturellen Paradigma. Dies stellt den großen Reiz von digitalen Spielen dar: Wir brauchen keine Vermittler*innen mehr zwischen uns und der Vergangenheit. Stattdessen können wir selbst sehen, hören und sogar – z.B. über die Vibrationsfunktion von Controllern ­– haptische Impulse von der suggerierten Geschichte der Spielwelt erleben. Digitale Spiele scheinen daher den Anspruch der fortgeführten Zeugenschaft ideal zu erfüllen. Sie ermöglichen einen Zugang, der sich über Handlungen und Entscheidungen gestaltet, indem Spieler*innen die Geschichte selbstwirksam und aktiv erspielen. Dadurch eröffnen sie eine Erfahrung von Vergangenheit, die auch spätere Generationen berühren kann und ihnen gerade die Bedeutung ihrer Aktivität, die Verantwortlichkeit des eigenen Handelns vor Augen führt.

Dieser Gedanke lässt sich am bereits aufgegriffenen Beispiel Call of Duty anschaulicher konkretisieren: Auf der Suche nach Zussman besteht die Hauptaktivität der Spieler*innen darin, das leere Lager zu erkunden, sich darin zu bewegen. Kein Schießen, kein Rennen, keine taktischen Manöver sind möglich. Einzig der Ort kann wahrgenommen und mit seinen bereits genannten audiovisuellen Verweisen auf das mediale Gedächtnis als Erinnerungsraum erkannt werden. Der begleitende Kriegsfotograph Stiles verstärkt die Notwendigkeit des Festhaltens: Was gesehen und gehört wird, ist wichtig und muss für eine abwesende (und zukünftige) Gesellschaft dokumentiert werden. Dies geschieht sowohl über diese Fotographien, aber gerade auch über die zeugende Perspektive des Avatars, der die Motive selbst in der Spielwelt vor Augen hat.

Hinzu kommt die Verknüpfung der Ortserfahrung mit dem positiven Missionsziel, nämlich mit der Rettung Zussmans, die – Überraschung! – am Ende gelingen muss: Die Spielenden sind gezwungen, den entscheidenden Schuss so oft zu wiederholen, bis sie den feindlichen Offizier töten, Zussman gerettet wird und das Spiel beendet werden kann. Die Spielerfahrung suggeriert somit multiple Involvierungsformen der Spielenden: Die Raumerfahrung des Lagers ermöglicht die Begehung eines palimpsestisch aufgeladenen Erinnerungsortes, wie Aleida Assmann diese charakterisiert. Die Spieler*innen sammeln also darin eigene Eindrücke, eigene Erinnerungen, die später ihre Vorstellung des Geschichtsbildes „Lager“ beeinflussen können. Das spielerische Narrativ betont zudem die Wichtigkeit dieser Eindrücke, die Notwendigkeit der Dokumentation und Weitergabe – beides zentrale Motive der Erinnerungskultur. Zuletzt, und dabei emotional möglicherweise am stärksten aufgeladen, ermöglicht die Rettung Zussmans den Spieler*innen selbst wirksam einzugreifen und somit wenigstens ein Einzelschicksal vor dem Holocaust zu bewahren.

Was bedeutet das für die Zukunft von Erinnerungskulturen und/mit Games?

In dieser Perspektive des spielerischen Bezeugens sehe ich nicht nur eine große Chance für die Erinnerungskulturen, sondern auch für das Medium selbst. Inwiefern kann diese Ebene von „bezeugenden“ Spielhandlungen zukünftig stärker in spielerische Mechaniken und Ziele eingebettet werden? Welche neuen Genres und Geschichten können erspielbar gemacht werden, wenn die Weitergabe von Zeugnissen um den Holocaust noch bewusster der Spielentwicklung zugrunde liegt?

Gleichwohl müssen bei allem Enthusiasmus auch die Einschränkungen und möglichen Fehlschlüsse aus diesem Potenzial berücksichtigt werden. In der Immersionsfähigkeit digitaler Spielwelten schlummert nämlich die Gefahr, dass die eigene künstliche Erfahrung als bare Münze genommen wird; dass der Eindruck entsteht, nun wüsste ich als Spielerin, wie es wirklich war. Aber das tue ich nicht und es wäre moralisch anmaßend, von einer „gespielten“ Erinnerungskultur zu dieser Überzeugung verleitet zu werden. An diese Erkenntnis sollte ich also wiederholt erinnert werden.

Als Erinnerungsmedien, die retrospektiv historische Ereignisse interpretieren und dabei Ausdrucks- sowie Darstellungsformen unterliegen, können digitale Spiele letztlich nur gegenwärtige Vorstellungswelten über die Geschichte erschaffen. Diese Vorstellungswelten können aber dazu genutzt werden, den Stimmen der Überlebenden neue Räume zu öffnen und in der spielerischen Partizipation den jungen Generationen als (zukünftigen) Akteuren in den Erinnerungskulturen um den Holocaust neue Zugänge zu ermöglichen.

 

Verwendete Literatur:

Assmann, Aleida: „Die vier Grundtypen von Zeugenschaft.“ In: Fritz Bauer Institut (Hg.): Zeugenschaft des Holocaust. Zwischen Trauma, Tradierung und Ermittlung. Frankfurt: Campus 2007, S. 33–51.

Assmann, Aleida: „Orte“. In: Ebd.: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 5. Auflage. München: Beck, 2010, S. 298–342.

Baer, Ulrich (Hg.): „Niemand zeugt für den Zeugen“. Erinnerungskultur und historische Verantwortung nach der Shoah. 3. Auflage. Frankfurt a.M.: Campus, 2011.

Ebbrecht, Tobias: Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust. Bielefeld: Transcript, 2011.

Hoskins, Andrew: „Digital Network Memory“. In: Astrid Erll & Ann Rigney (Hrsg.): Mediation, Remediation, and the Dynamics of Cultural Memory. Berlin: De Gruyter, 2009, S. 91–106.

Sabrow, Martin & Norbert Frei (Hrsg.): Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945. Göttingen: Wallstein, 2012.

Wake, Caroline: „Regarding the Recording. The Viewer of Video Testimony, the Complexity of Copresence and the Possibility of Tertiary Witnessing. In: History & Memory, Vol. 25, Iss. 1 (2013), S. 111–144.

Widmann, Tabea & Honke Josefine: “Prosthetic Witnesses. Eine neue Form von Zeugenschaft in medialisierten Erinnerungskulturen.” In: Anne-Berenike Rothstein & Stephanie Pilzweger-Steiner (Hg.): Entgrenzte Erinnerung. Erinnerungskultur der Postmemory-Generation im medialen Wandel. Berlin: De Gruyter, 2020, S. 93–134.