Wolfenstein II: The New Colossus
In Wolfenstein II: The New Colossus führen die Spieler*innen als B.J. Blazkowicz im alternativhistorischen Setting der Wolfenstein-Spielserie in den 1960er Jahren in genretypischer Manier des Egoshooters den Widerstand gegen das NS-Regime fort.
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
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Wolfenstein II: The New Colossus setzt nahtlos am Vorgänger The New Order an und erzählt dessen dystopische Alternativweltgeschichte fort. Im Jahr 1961 haben die Nationalsozialisten in der Spielhandlung auch die USA besiegt sowie kolonisiert und die Spieler*innen erleben abermals die Geschichte des jüdischen Widerstandskämpfers William J. Blazkowicz. Während in den Filmsequenzen eine bewusst filmische Inszenierung aus einer externen Kameraperspektive eingenommen wird, steuern die Spielenden in den interaktiven Sequenzen Blazkowicz aus der ersten Person. Im kathartischen zweiten Teil der Wolfenstein-Reihe ist der Protagonist über weite Strecken eine schwer verwundete menschliche Hülle und die im Vorgänger aufgebaute Hoffnung scheint zu verschwinden. Der klassische Shooter setzt damit die spielerische Tradition des Vorgängers, die Darstellung expliziter Gewalt und ebenso dessen Fokus auf eine involvierende Geschichte fort.
In The New Colossus ist der Unterschied zwischen internationaler und deutscher Version durch die (Über-)Anpassung an die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in Deutschland geltenden Gesetze zur Darstellung nationalsozialistischer Symbole, Institutionen und Personen noch stärker sichtbar als in The New Order: Ein greiser „Führer“ Hitler wird zum „Kanzler Heiler“. Aus Jüd*innen werden „Verräter“, der Holocaust damit unterschlagen. Gleichzeitig fokussiert sich das Spiel noch stärker auf Satire und Exploitation und steigert sich zum Teil ins Absurde. Dabei wird auch klar die antifaschistische Botschaft des Spiels betont: Die USA und schließlich die Welt vom nationalsozialistischen Gedankengut zu befreien.
Video-Kurzreview
Erinnerungskulturelle Bedeutung
Der Untertitel des Spiels ist nicht zufällig nach dem Sonett „The New Colossus“ von Emma Lazarus benannt, das auch im Inneren des Podests der Freiheitsstatue in New York zu finden ist und Immigrant*innen in den USA willkommen heißt. Als The New Colossus im Jahr 2017 veröffentlicht wurde, bewegte es sich im Kontext einer intensiv und kritisch geführten gesellschaftlichen Debatte über die rechts-konservative (Migrations-)Politik des jüngst ernannten US-Präsidenten Donald Trump. Das digitale Spiel greift diese Themen der Zeitgeschichte auf und erzählt eine Geschichte über den „Kreisauer Kreis“ – oder „Wiesenau Kreis“ in der deutschsprachigen Version –, einer Widerstandsgruppe bestehend aus der Black Panther-Bewegung, Kommunist*innen, Überläufer*innen und Jüd*innen, die in einer von Nationalsozialisten besetzten USA – mit vielen eindrückliche Parallelen zur heutigen Zeit – antifaschistischen Widerstand leisten.
Das Regime in The New Colossus passt sämtliche kulturellen Felder in der kolonialisierten USA ihrer (Rassen-)Ideologie an, insbesondere die Sprache. Aus der US-Quizshow Jeopardy wird die fiktive Variante „German… or Else!“. Die implizite Drohung ist dabei sehr real, denn alles in der Kultur soll durch „Deutsches“ ersetzt werden – ansonsten drohen Inhaftierungen, Verschleppungen und Tod. Ein weiteres Beispiel ist hierfür die fiktive Band „Die Käfer“, eine „germanisierte“ Satire der Beatles mit Propaganda-Songs wie „Mond, Mond, Ja, Ja“, der eine technisch fortschrittliche Mondbasis besingt, oder „Change over Day“, der den 4. Juli thematisiert, ab dem nur noch die deutsche Sprache erlaubt ist. Hervorzuheben ist hier, dass „Die Käfer“ eigentlich subversiv singen und im Subtext vor dem Regime warnen.
Die Wolfenstein-Serie existiert seit den 1980ern und war stets mit Gewaltdarstellungen sowie gerade in Deutschland mit dem Tabu beziehungsweise der unklaren Rechtslage zur Darstellung von nationalsozialistischer Symbolik verbunden. Seit der Neuauflage durch The New Order im Jahr 2014 rückte die Geschichte verstärkt ins Zentrum und mit einer Veränderung der Spruchpraxis der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle im Jahr 2018 besteht auch die Möglichkeit der Darstellung von Hakenkreuzen im Rahmen von Kunst und Bildung. Trotz oder vielmehr dank der bissigen Satire und der bewussten Exploitation trifft The New Colossus oft sehr pointierte Aussagen zur Gegenwart. Die Kritik gegenüber rechtsextremer Ideologie ist unübersehbar und eindeutig.
Diskussionspunkte
Gewalt, Flucht, Migrationsgesellschaft, Radikalisierung und Nationalsozialismus sind nur einige Themen, die The New Colossus aufgreift. Da es sich im Kern um einen Heldenepos über eine divers zusammengesetzte Widerstandsgruppe handelt, sind das buchstäbliche „Abtauchen“ in einem Atom-U-Boot als Basis oder das Verstecken von Andersdenkenden in der durch einen Atomangriff verseuchten New York zentrale Handlungselemente des Spiels. Menschen müssen ihre Heimat verlassen, werden in den Untergrund gedrängt und von dort aus versteckt Widerstand leisten – falls das überhaupt noch möglich ist. Die Widerstandskämpfer*innen müssen gleichzeitig interne Konflikte lösen und Differenzen überwinden.
Öffentlich im deutschsprachigem Raum diskutiert wurden vor allem der Umgang mit NS-Symbolik sowie die problematischen Folgen der Selbstzensur. Die internationale Version mit Hakenkreuzen und NS-Bezeichnungen steht im Kontrast zur deutschen Version mit angepassten Begriffen und Symbolen: Aus Nazi-Deutschland wird „Germanien“ mit einem „Kanzler“, der auch nicht Hitler heißt, sondern „Heiler“. Als besonders schwerwiegender Eingriff wurde kritisiert, dass Jüd*innen nahezu vollständig aus der Handlung entfernt und in „Verräter“ umbenannt wurden. Auch der Protagonist verliert so seine jüdische Herkunft. Damit ist Wolfenstein II: The New Colossus wahrscheinlich eines der anschaulichsten Beispiele dafür, wie Selbstzensur wirkt und ein Spiel prägen kann.
Wenn von Exploitation gesprochen wird, muss auch die Gewalt als zentrales Element des Spiels thematisiert werden – auch als grundlegende Diskussion über Gewalt in Medien.
Einsatzmöglichkeiten
Wolfenstein II: The New Colossus spricht eine Vielzahl von Themen an, die einen vielfältigen Einsatz möglich machen. Das digitale Spiel zeigt auf dem Weg der Satire, was aus dem „NS-Wahnsinn“ entstehen und wie auch die Mehrheitsgesellschaft zu willigen Mittäter*innen werden kann.
Am eindrucksvollsten wirkt das Spiel, neben dem erwähnten Auftritt Hitlers/„Heilers“, in zwei Szenen: Einerseits in der US-Kleinstadt Roswell, wo in vielen Alltagssituationen gezeigt wird, wie die Bevölkerung radikalisiert wird beziehungsweise offen mit den Besatzern kollaboriert (z. B. der Ku-Klux-Klan), und andererseits am Lincoln Memorial, das zu einer politischen Inszenierung des Regimes genutzt wird. Blazkowicz soll genau an diesem Ort als Widerstandskämpfer vor unzähligen NS-Fahnen medienwirksam enthauptet werden. Zeitgeschichtliche propagandistische Inszenierungen sind hier ein interessanter Vergleich.
Satire als Stilmittel in Kunst und Kultur, die zur Einordnung notwendige Medienkompetenz und auch die anschaulich dargestellte Flucht der Widerstandsgruppe und anderer Figuren sind weitere Kernaspekte, die sich für einen Einsatz aufgreifen lassen. Dabei reflektiert The New Colossus anschaulich, wie die rechtsextreme Ideologie Menschen an den Rand oder vielmehr den Untergrund der Gesellschaft drängt oder zur Flucht zwingt.
Eingeschränkt werden die Einsatzmöglichkeiten vor allem durch die Alterseinschränkung ab 18 Jahren und den damit zusammenhängenden, zwar ins Absurde übertriebene, aber dennoch oft verstörende Gewaltgrad. Daher kann The New Colossus vor allem in der Erwachsenenbildung eingesetzt werden. Für jüngere Zielgruppen könnten gewaltfreie oder -geminderte Videos einzelner Spielszenen genutzt werden. Insgesamt kann eher mit editierten Videomaterial, Trailern oder auch mit Screenshots durch die explizite NS-Symbolik und Ästhetik des Spiel gearbeitet werden. Das Potenzial spricht jedoch dafür, es trotz der Alterseinschränkungen mit der aktiven Erprobung zu versuchen. Die technischen Anforderungen halten sich in Grenzen: Computer sollten eine dezidierte Grafikkarte der letzten sieben Jahren besitzen. Eine Spielkonsole der vorletzten Generation (Playstation 4, Xbox360 oder Nintendo Switch) sollte es zumindest sein, um das Spiel gut spielen zu können.
Weiterführendes Material
- Brandenburg, Aurelia, Rudolf Inderst und Pascal Wagner, Hg., „Eva auf Wiedersehen!“ Zur Geschichte, Verhandlung und Einordnung der Wolfenstein-Spielereihe, Glückstadt: Fachverlag Werner Hülsbusch, 2021.
- Färberböck, Peter. Von A wie Adolf Heiler bis Z wie Zensur. Nationalsozialismus in digitalen Spielen. Masterarbeit, Universität Salzburg, 2021,
- Pfister, Eugen. On the potentials of digital games for remembrance cultures II: A Brief History of the Second World War in Digital Games. gespielt. Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (Blog), 16.03.2022,
- Pfister, Eugen. „Where the Line of Decency is Drawn.“ Imaginationen des Holocaust in Digitalen Spielen. Spiel-Kultur-Wissenschaft (Blog), 26.09.2018.
- Schiffer, Christian. Wolfenstein 2. Wie ein Computerspiel deutsche Geschichte entsorgt. Deutschlandfunk, 09.11.2017,
- Zimmermann, Felix. Wider die Selbstzensur. Das Dritte Reich, nationalsozialistische Verbrechen und der Holocaust im Digitalen Spiel. gespielt. Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (Blog), 27.08.2017.
Zitierempfehlung
Färberböck, Peter. „Wolfenstein II: The New Colossus“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 31.05.2022. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]
Förderer
Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Migration Lab Germany aus Mitteln der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ), der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefördert.