WARSAW
Im rundenbasierten RPG-Strategiespiel WARSAW beteiligen sich die Spieler*innen am Widerstand während des Warschauer Aufstands 1944. Anstelle eines klassischen Spielsieges kann in WARSAW nur das Überleben bis zum 02. Oktober „gewonnen“ werden.
Seit August 2023 wurde das Spiel WARSAW durch WARSAW RISING: Stadt der Helden ersetzt, das nun kostenfrei auf dem PC verfügbar ist. Dieser Eintrag bezieht sich noch auf das ursprüngliche Spiel, das zur Zeit nicht mehr käuflich erworben werden kann. Eine erinnerungskulturelle Einordnung von WARSAW RISING: Stadt der Helden finden Sie hier: WARSAW RISING: Stadt der Helden – Stiftung Digitale Spielekultur (stiftung-digitale-spielekultur.de)
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
Veröffentlicht am:
WARSAW versetzt Spieler*innen direkt in die Ereignisse des Warschauer Aufstandes im August und September 1944, als die polnische Untergrundorganisation Armia Krajowa (Heimatarmee) den Versuch unternahm, die Stadt eigenhändig vor Ankunft der Roten Armee von den deutschen Besatzern zu befreien. Dazu wählt das Spiel die Perspektive „von unten“, beauftragt die Spieler*in also damit, mit einer Gruppe von Aufständischen verschiedene Missionen durchzuführen, um deutsche Patrouillen zurückzudrängen, Versorgungslinien zu sichern oder wichtige Gebäude zu schützen. Dazu bewegen sich die Avatare auf einer Karte von Warschau, decken Versorgungskisten auf, lösen narrative Zufallsereignisse aus und versuchen, das Missionsziel zu erreichen. Dazu müssen deutsche Patrouillen umgangen oder, je nach Mission, direkt attackiert werden. Zentrale Spielmechanik ist ein 2D-Bildschirm, auf dem taktische Schlachten zwischen der von der Spieler*in kontrollierten Gruppe polnischer Aufständischer und KI-kontrollierten deutschen Soldaten durchgeführt werden. Dazu kommen Rollenspielelemente, die die einzelnen Charaktere in ihren Fähigkeiten (sowie persönlichen Hintergrund) entwickeln, und Managementelemente, da zwischen den Missionen Ressourcen im eigenen Hauptquartier im Untergrund verwaltet sowie die Moral verschiedener Stadtteile ausbalanciert werden müssen. Das Spiel hält sich dabei relativ eng an die historischen Ereignisse – so kann der Warschauer Aufstand nicht „gewonnen“ werden; Ziel ist es vielmehr, bis zum 2. Oktober zu überleben.
Seit August 2023 wurde das Spiel WARSAW durch WARSAW RISING: Stadt der Helden ersetzt, das nun kostenfrei auf dem PC verfügbar ist und sich signifikant von WARSAW unterscheidet. Dieser Eintrag bezieht sich noch auf das ursprüngliche Spiel, das zur Zeit nicht mehr käuflich erworben werden kann und bietet eine Einordnung von WARSAW RISING: Stadt der Helden finden Sie hier:
Video-Kurzreview
Erinnerungskulturelle Bedeutung
Das Spiel thematisiert ein in der polnischen Erinnerungskultur zentrales Ereignis, dem heute in Warschau auch ein eigenes Museum gewidmet ist; dagegen kommt der Warschauer Aufstand, wie überhaupt die Brutalität der deutschen Besatzung in Polen und die Heimatarmee als größte militärische Widerstandsorganisation selten in der deutschen Erinnerungskultur vor. Damit ermöglicht es eine neue Perspektive auf Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft in Europa.
WARSAW orientiert sich spielmechanisch an einer Reihe von Roguelikes, deren erstes und bekanntestes Beispiel das Spiel Darkest Dungeon (2015) ist. Wie dieses setzt WARSAW ein zentrales Charakteristikum der Roguelikes, Permadeath, so ein, dass einzelne Kämpfer der eigenen Gruppe nicht wiederbelebt werden können (auch nicht durch Rückgriff auf einen früheren Speicherpunkt). Der Tod von über längere Zeit aufgebauten und auch narrativ ausgeschmückten Charakteren soll so schmerzhaft auf die Spieler*in wirken, was taktische Entscheidungen schwerer und konsequenter macht. Auch die bedrückende Atmosphäre übernimmt WARSAW von dem Fantasy/Horror-Setting von Darkest Dungeon, lädt es allerdings historisch auf. Da in der polnischen Gedenkkultur um den Warschauer Aufstand dessen Vergeblichkeit und das heldenhafte Märtyrertum der Kämpfenden betont wird, trifft diese bedrückende Atmosphäre die polnische Erinnerung besonders gut. Insofern steht das Spiel narrativ und atmosphärisch auch in einer Reihe polnischer popkultureller Produkte über den Warschauer Aufstand, angefangen mit dem berühmten Film des Regisseurs Andrzej Waida, Der Kanal.
Diskussionspunkte
Die Erinnerung an der Warschauer Aufstand ist in Polen durchaus umstritten. Im Zuge eines erstarkten Nationalismus unter der konservativen Regierung wurde mit dem Museum des Warschauer Aufstandes die Erinnerung an das „kämpfende Polen“ (so die Losung der Armia Krajowa) antitotalitär gleichzeitig gegen die nationalsozialistischen Besatzer und die Sowjetunion gerichtet. Das Museum, so eine Rezensentin, perpetuiere ein romantisierendes Bild von Heldenmut und Opferbereitschaft der Aufständischen und bleibe einem „eindimensionalen, heroisierenden und stereotypen Geschichtsbild verhaftet.“ (Heinemann 2014) Dem gegenüber steht eine liberale Historiographie, die die Entscheidung der polnischen Exilregierung und des Oberkommandos der Armia Krajowa hinterfragt, im Bewusstsein des „nach militärischen Gesichtspunkten mehr als zweifelhaften“ Erfolgs dennoch den Befehl zum Aufstand zu geben (Borodziej 2001).
Entwickler Krzysztof Paplinski erklärte explizit, das Spiel wolle in dieser politischen Diskussion keine der beiden Seiten einnehmen und statt dessen auf die Geschichte einer Bevölkerung fokussieren, die gegen alle Wahrscheinlichkeit Widerstand leistete (Watts 2019). Ohne Einordnung bleibt dieser Fokus allerdings zeitlich (exakt die Zeit des Aufstandes vom 1.8. bis 2.10.1944), räumlich (die Stadt Warschau) und narrativ (eine für die am Aufstand direkt beteiligte Bevölkerung repräsentative Gruppe von Charakteren) extrem fokussiert und blendet wichtige nationale und internationale Entscheidungsebenen aus. Zwischentexte und der In-Game-Kodex bieten ebenfalls keine ausführliche historische Einordnung. Durch den sehr hohen Schwierigkeitsgrad und die Entscheidung für Spielmechaniken, die Vergeblichkeit und Verzweiflung betonen, tendiert das Spiel im Effekt eher zur nationalistischen Version polnischer Erinnerungskultur, in der die Aufständischen als Märtyrer gelten. Etwas konterkariert wird dieser Effekt durch einzelne narrative Zwischensequenzen, die auch jüdische Personen einführen und an den Aufstand im Ghetto 1943 erinnern, oder deutsche Deserteure zu den spielbaren Charakteren hinzufügen.
Einsatzmöglichkeiten
WARSAW bietet einen lokal fokussierten Blick auf eine Stadt im Widerstand gegen die brutale nationalsozialistische Besatzung. Da der Warschauer Aufstand sowie die Brutalität der Besatzung Polens in der deutschen Erinnerungskultur noch wenig thematisiert wird, kann WARSAW zu einer wichtigen Korrektur beitragen. Die Charaktere werden insbesondere durch einen In-Game-Kodex, der ihnen Hintergrundgeschichten gibt, und die Zeit, die die Spieler*in mit ihnen verbringt, lebendig; so kann das Spiel einen sehr guten Einstieg in eine Alltagsgeschichte der Besatzung und des Widerstands bieten. Allerdings wird die komplexe Geschichte des Warschauer Aufstandes nur in einem Ausschnitt erfasst. Pädagogisch sollte das Spiel begleitet werden durch eine Einordnung des historischen Kontextes, insbesondere die umstrittene Frage der Entscheidung zum Aufstand, die Relevanz des bewaffneten Widerstands nach Jahren äußerst brutaler Besatzung, aber auch die kontroverse Entscheidung der Alliierten, den Aufstand nicht militärisch zu unterstützen. Auch die Alltagsgeschichte, das Erleben und die Erinnerung der beteiligten Warschauer an dem Aufstand kann mittels Oral History und übersetzter Literatur spielbegleitend eingesetzt werden (s. Bibliographie). In dieser Weise kann WARSAW einen guten Einstieg in eine Geschichte des Widerstands „von unten“ bieten.
Das Spiel erfordert keine besonders technisch aufwändige Hardware. Allerdings ist die Progression durch den hohen Schwierigkeitsgrad langsam und eine narrative Erkundung des Spiels zeitaufwändig. Mittels Let’s Plays, vorher abgespeicherten Spielständen, in denen Ausschnitte angespielt werden können, und einer Einordnung durch Material wie Interviews mit den Entwicklern und wissenschaftliche wie literarische Werke zum Thema kann das Spiel in den Unterricht eingebunden werden.
Weiterführendes Material
- Miron Bialoszewski, Erinnerungen aus dem Warschauer Aufstand (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2019)
- Wlodzimierz Borodziej, Der Warschauer Aufstand 1944 (Frankfurt/M.: S. Fischer, 2001)
- Monika Heinemann, „Das Museum des Warschauer Aufstands“, zeitgeschichte online. zul. einges. am 08.06.2021.
- Reid McCarter, „How Warsaw Captures the Brutality—and Complexity—of the Historical Uprising that Inspired It“, EGM. zul einges. am 08.06.2021.
- Rachel Watts, „Warsaw is a harrowing Darkest Dungeon set during WWII“, PCGamesN. zul. einges. am 08.06.2021.
- History Respawned: Warsaw, Bob Whitaker/Alina Nowobilska, 23.05.2020
Zitierempfehlung
Heinze, Robert. „WARSAW“. Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 24.06.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]