Valiant Hearts: The Great War
Im Puzzle-Plattformspiel Spiel Valiant Hearts: The Great War begleiten die Spieler*innen multiperspektivisch die Schicksale verschiedener Charaktere auf beiden Seiten der Schützengräben. Das Spielgeschehen erweitert dabei eine rein soldatische Perspektive und richtet den Blick auf physische und psychische Versehrung, Überlebensängste aber auch Kooperation und Freundschaft in dieser historischen Ausnahmesituation.
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
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In Valiant Hearts begegnen sich unsere fünf Protagonist*innen an der Westfront des Ersten Weltkriegs: der deutsche Bauer Karl, sein französischer Schwiegervater Emile, die belgische Sanitäterin Anna, der amerikanische, in Frankreich lebende Freddy und der Hund Walt, der im Verlauf der Geschichte allen anderen Charakteren bei ihren Aufgaben hilft.
Trotz sehr unterschiedlicher Umstände geht es allen Charakteren in erster Linie um das Überleben des Krieges an der Westfront, indem sie Gefahren ausweichen und verschiedene Puzzle in der Spielwelt erfolgreich absolvieren. Das Gameplay ist trotz der gefahrenvollen Umgebungen größtenteils friedlich gestaltet.
Beim Erkunden der einzelnen Level sind verschiedene Alltagsgegenstände zum Einsammeln versteckt, die kommentierte Einträge zur Alltagsgeschichte an und hinter der Westfront in einem separaten Menü freischalten. Dort finden sich auch auf das Kapitel bezogene historische Themenabrisse, die das Geschehen mit zusätzlichen Kontextinformationen einordnen.
Video-Kurzreview
Erinnerungskulturelle Bedeutung
Valiant Hearts erschien kurz vor dem 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs 1914 und kann daher als spielerischer Beitrag zur Erinnerungskultur verstanden werden.
Die meisten Spiele zum Ersten Weltkrieg beziehen sich auf diesen entweder durch folgenloses Töten an den Frontabschnitten im Rahmen eines Mehrspieler-Ego-Shooters oder legen den Fokus auf die militärstrategische Ebene, was das Leid der Menschen durch die starke Abstraktion unsichtbar macht.
Valiant Hearts verwendet einen an Comics angelehnten Grafikstil, der die Figuren überzeichnet wirken lässt. Die Erzählung der tragischen Ereignisse erzeugt daher einen wirkungsvollen Kontrast dazu sowie auch zum Fotorealismus diverser Ego-Shooter. Zusammen mit den gewaltfreien Spielmechaniken und dem Fokus auf das alltägliche Überleben der Frontsoldaten und Zivilist*innen der Heimatfront ist es eines von wenigen Spielen zum Ersten Weltkrieg, in dem es nicht primär um das Töten, sondern die Verarbeitung von Kriegserlebnissen durch betroffene Personen geht.
Dabei werden die Sorgen und Nöte der Menschen durch Spieler*innen erfahrbar gemacht. Freischaltbare Sammelobjekte und Texte mit zusätzlichen Kontextinformationen zur Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs ergänzen dies.
Diskussionspunkte
Allerdings sind nicht alle Aspekte der Erzählung und Präsentation durchweg gelungen: Insbesondere die Darstellung der deutschen Soldaten und ihres Kommandeurs Baron von Dorf sind sehr stark überzeichnet und werden der ansonsten differenzierenden Erzählweise nicht gerecht. Andererseits sorgt die Überzeichnung auch für eine Distanzwahrung seitens der Spielenden.
Problem und Chance sind auch die in bestimmten Situationen unrealistischen Puzzle, welche die Spielenden möglicherweise aus der ansonsten fesselnden Erfahrung herausziehen können. Beispielsweise wenn sie in einer durch einen Gasangriff bombardierten Stadt nach grafischen Hinweisen zum Öffnen einer durch eine komplexe Zahlenkombination gesicherten Tresortür nachgehen sollen.
Positiv wiederum sind die wenigen humorvollen Momente im Spiel, die den Spielenden eine kurze Pause von den durchaus tragischen Momenten im Spiel geben bzw. eben solchen anstehenden Momenten zusätzliches Gewicht verleihen können.
Schließlich kann der Umgang der Entwickler*innen mit der Präsentation vermeintlicher Fakten und Quellen kritisiert werden. Es fehlt eine Einordnung und Ausweis der dargestellten Quellen als nachbearbeitete Sekundärquellen. Auch die Autorenschaft der Kommentartexte bleibt weitgehend im Dunkeln.
Einsatzmöglichkeiten
Mit einer größer angelegten Unterrichtsreihe könnte man kapitelweise das Spiel durch Schüler*innen selbst erspielen lassen mit einem für ein digitales Spiel überschaubaren Zeitaufwand von ca. sieben Stunden. Da das Spiel in solche Kapitel unterteilt ist, können diese nach einmaligem Durchspielen auch separat erspielt werden, um auf ein bestimmtes Themenfeld Bezug nehmen zu können oder fehlende Sammelobjekte und dazugehörige Kommentartexte freizuschalten. Im Anschluss ist eine Dekonstruktion der spielerischen Erfahrungen sicherlich angebracht:
Der Fokus auf die Westfront des Ersten Weltkriegs ist dabei vor dem Hintergrund eines weltumspannenden Konflikts sicherlich kritisch zu erörtern. Dabei könnte darauf abgehoben werden, dass erinnerungskulturelle Konstruktionen perspektivisch eingefärbt sind. Vor diesem Hintergrund ließe sich auch die klischeehafte Darstellung deutscher Soldaten und ihres Kommandeurs Baron von Dorf kritisch diskutieren.
Eine weitere Herausforderung liegt in der Problematisierung des Umgangs mit Quellenmaterial und der Autorenschaft der Begleittexte im Spiel, damit diese nicht als vermeintliche Fakten wahrgenommen werden. Das Einbinden dieser Kontextinformationen in ein separates Menü im Spiel bietet sich zudem als Anlass zur Diskussion von Chancen und Grenzen dieser Art von Authentifizierungsstrategie an.
Weiterführendes Material
- André, ?: „Der Erste Weltkrieg in Videospielen – Pixel-Gas und Polygon-Granaten“, Gain Magazin, 07.03.2019
- Chapman, Adam: „It’s Hard to Play in the Trenches: World War I, Collective Memory and Videogames.“, Game Studies. the international journal of computer game research, Dezember 2016
- Fenn, Monika: „Kriegsspiel mit Herz? Computer Games zum Ersten Weltkrieg“, Public History Weekly, 17.07.2014
- Fromme, Johannes und Ralf Biermann. „Der Erste Weltkrieg im Computerspiel.“ In Der Erste Weltkrieg. Interdisziplinäre Annäherungen, herausgegeben von Burkhardt, Armin und Thorsten Unger, S.259-299. Hannover: Wehrhahn 2018.
- Lenz, Patrick: „Erster Weltkrieg virtuell – historisches Lernen im Computerspiel?“, spielbar.de, 29.09.2015
- Lohmeier, Jens und Stephanie Kaiser: „Krieg und Anti-Krieg – Zwei Bilder vom Ersten Weltkrieg im Computerspiel.“, Arbeitskreis Militärgeschichte e.V., 28.10.2018
- Zimmermann, Felix: „Spielend sterben im Schützengraben.“, gespielt. Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (blog), 27.02.2018
Zitierempfehlung
Dawitz, Bastian. „Valiant Hearts: The Great War“. Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 24.06.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]