Tropico 6
Im satirischen Setting von Tropico 6 übernehmen die Spieler*innen die Rolle von „El Presidente“ und lenken die politischen Geschicke einer karibischen Insel und ihrer Bevölkerung. Dabei thematisiert das Spiel die Folgen (un-)demokratischen Handelns ebenso wie die Auseinandersetzung mit (ehemaligen) Kolonialmächten.
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
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Tropico 6 ist eine Wirtschaftssimulation bzw. ein Aufbaustrategiespiel, das vom deutschen Entwicklerstudio Limbic Entertainment entwickelt wurde. In dem Spiel steuern wir als „El Presidente“ das Geschick der fiktiven karibischen Inselrepublik „Tropico“ vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart und versuchen mittels legaler und/oder illegaler politischer Mittel an der Macht zu bleiben und die Inselbevölkerung zu Wohlstand zu führen. Trotz häufiger Wechsel des Entwicklerstudios ist sich die Tropico-Spielreihe in den letzten zwanzig Jahren in ihrem Gameplay und der Ästhetik treu geblieben. Sie bezieht ihren Charme zum einen aus der einfach zu lernenden Spielmechanik, die sich stark an Spielen der Sim City– und Anno-Reihe orientiert, und zum anderen aus dem einzigartigen Spielsetting, das als Satire auf populärkulturelle Tropen der Bananenrepublik gelesen werden muss. So ist es im Spiel möglich, mittels eines brutalen Polizeiapparates, politische Gegner*innen zu bestechen oder einsperren zu lassen. Ebensogut ist es aber auch möglich, durch die Befriedigung der unterschiedlichen Bedürfnisse der Bevölkerung (z. B. Wohnung, Arbeit, Ernährung und Gesundheit) deren Zustimmung zu erhalten und so immer wieder gewählt zu werden.
Video-Kurzreview
Erinnerungskulturelle Bedeutung
Obwohl – oder vielleicht auch weil – sich Tropico 6 wie schon seine Vorgänger ganz eindeutig als Parodie inszeniert, bietet es uns einige spannende erinnerungskulturelle Momente. Es umspannt vier historische Perioden: die Kolonialzeit, den Zweiten Weltkrieg, den Kalten Krieg und die Gegenwart. Die Persönlichkeiten, die stellvertretend für Großmächte oder politische Fraktionen stehen, sind eindeutig Karikaturen, transportieren als solche im Kern aber einige spannende historische Elemente. So vermittelt die Kolonialzeit überzeugend die Ausbeutung der Kolonie durch eine desinteressierte europäische Großmacht. Gerade der Blick eines nichteuropäischen, nicht-westlichen Akteures auf die politische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ermöglicht dabei einen spannenden Perspektivenwechsel. Die karibische Tropeninsel gerät nämlich immer nur dann ins Visier einer Großmacht, wenn sie für deren Interessen eingespannt werden kann. Erfüllt man nicht die Bedingungen – der Krone, der Achsenmächte, der USA usf. – droht die Invasion. Abgesehen von den „internationalen Beziehungen“ erlauben vor allem die politischen Fraktionen innerhalb Tropicos einen interessanten Einblick in ideologische Grundgerüste des Zwanzigsten Jahrhunderts, wenn auch naturgemäß zugespitzt. So stehen den „Kapitalist*innen“ nur die „Kommunist*innen“ gegenüber, den „Industriellen“ die „Umweltschützer*innen“. Auch diese Figuren treten zwar als Karikaturen auf, ihre Interessen und Forderungen aber sind erstaunlich nah an jenen ihrer historischen und gegenwärtigen Vorbilder: Wohnungsbau, Bildung, Umweltschutz, Deregulierung.
Diskussionspunkte
Wie bereits kurz angedeutet ist Tropico 6 trotz seines Bananenrepublik-Kostüms ein erstaunlich ausgereifter und zugänglicher Demokratiesimulator. Es ist eines von wenigen Spielen, in welchen die Zufriedenheit der Bevölkerung von zentraler Bedeutung ist. Bewahrt man die verschiedenen Bedürfnisse seiner Bevölkerung im Auge und hält man seine Wahlversprechen, ist es möglich immer wieder wiedergewählt zu werden. Zugleich ist es aber auch möglich mittels Massenverhaftungen, Einweisungen in psychiatrische Kliniken, Bestechungen und Auftragsmorde politische Gegner*innen auszuschalten. Dabei nimmt das Spiel keine moralische Haltung ein, es verurteilt also nie direkt unmoralisches Verhalten. Zwar ist es alles in allem, einfacher mit moralischen Mitteln an der Macht zu bleiben, aber wer politische Gegner*innen verschwinden lässt, muss sich nicht danach mit dem Protest kinderloser Mütter oder internationalem politischen Druck auseinandersetzen. Auf vielen Ebenen – wenn es zum Beispiel um die Warenkreisläufe und Profitmaximierung geht – ist das Spiel aber zu wenig eindeutige Satire, um das allein als Erklärung für diese Auslassungen vorzuweisen. Abgesehen davon fällt vor allem das völlige Ausblenden einer Sklaverei-Vergangenheit auf. Insbesondere in der Karibik, in welcher die fiktive Insel liegt, bestimmten die Altlasten der Sklaverei bis heute soziale Konflikte, und wurden zum Motor unzähliger politischer Umbrüche. Tropico 6 suggeriert hingegen die Illusion einer homogenen, durchmischten Bevölkerung. Neben den Nachfahren der von europäischen Großmächten eingeschleppten afrikanischen Bevölkerung fehlt außerdem – bis auf die zur Sehenswürdigkeit reduzierte zentralamerikanische Pyramiden – jeglicher Verweis auf eine indigene Bevölkerung. Diese Auslassungen sind besonders schade.
Einsatzmöglichkeiten
Tropico 6 eignet sich zum Beispiel als punktuelles Anschauungsmaterial, wenn es um die Geschichte des Kalten Krieges, insbesondere der Bewegung blockfreier Staaten geht. So ist es vorstellbar, mit strategisch platzierten Speicherständen gewisse Ereignisse für den Unterricht nachspielbar zu machen. Hier kann das satirische Äußere des Spieles eventuell auch zum Vorteil gereichen, da es einen niederschwelligeren Zugang ermöglicht. Besonders geeignet für ein gemeinsames Spielen sind anstehende Wahlen. Hat man sich gemeinsam auf ein Wahlversprechen geeinigt (z. B. bessere Wohnverhältnisse oder besser Ernährung), gälte es nun gemeinsam diese in die Tat umzusetzen sowie die verschiedenen Partikularinteressen der einzelnen politischen Gruppen im Blick zu haben. Das Spiel müsste aber – wie jedes Spiel – quellenkritisch vorgestellt werden, eventuelle Fehlstellen (siehe oben) angesprochen werden.
Weiterführendes Material
- Eugen Pfister, Tobias Winnerling und Felix Zimmermann, “Democracy Dies playfully. Three Questions –Introductory Thoughts on the Papers Assembled and Beyond” in Gamevironments 13 (2020) 1-34
- Souvik Mukherjee und Emil Hammar (Hg.), Special Issue on Videogames and Postcolonialism, Open Library of Humanities
- Tobias Winnerling, How to Get Away with Colonialism. Two decades of discussing the Anno Series, in: Martin Lorber/Felix Zimmermann (Hg.): History in Games. Contingencies of an Authentic Past, Bielefeld: transkript 2020, S. 221–236.
Zitierempfehlung
Pfister, Eugen. „Tropico 6“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 15.12.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]