Spielcover: Road 96

Road 96

Road 96 stellt den Spieler*innen die Aufgabe, durch Trampen auf der Autobahn im Jahre 1996 dem fiktiven autoritären Staat Petria zu entkommen und durch diverse Roadtrips über dessen Grenze zu fliehen. Scheitern die Spielenden an diesem Vorhaben, beginnt das Spiel als ein neuer Charakter mit eigener Geschichte in Petria.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: DigixArt (Frankreich)
  • Publisher: DigixArt / Ravenscourt / Koch Media / Plug In Digital
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Genre: Adventure
  • Thema: Flucht und Migration, Politische Radikalisierung, Widerstand
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Englische Sprachversion
  • Vermittlungspotenzial Mittel
  • Zeitaufwand Mittel
  • Komplexität Gering
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Arno Görgen

Arno Görgen, Kulturhistoriker, forscht vornehmlich zu Medizin und Krankheit in Digitalen Spielen und Prozessen des Wissenstransfers durch digitale Spiele.

Road 96 ist ein prozedural generiertes Adventure des französischen Studios DigixArt, dass bereits mit Valiant Hearts reüssierte. Es handelt sich um eine Art Roadtrip, bei dem die Spieler*innen Jugendliche im Jahr 1996 spielen, die aus dem fiktiven Staat Petria fliehen wollen. Schafft man eine Flucht durch Tod oder Verhaftung nicht, beginnt man als anderer Charakter eine neue Geschichte an einem anderen Punkt im Land. Nach einem traumatisierenden Terroranschlag wurde Petria von dessen Präsidenten zu einer Diktatur umgebaut, die kulturell und topografisch stark an die USA der 1990er Jahre angelehnt ist. Um die Flucht erfolgreich durchführen zu können, muss sich die*der Jugendliche entlang der individuellen Fluchtroute durch verschiedene Einzelsettings spielen, dabei mit Charakteren sprechen, sich mit Geld und Energie versorgen und – um es bis zur Grenze zu schaffen – abwägen, welche Handlungen für und gegen die Diktatur das Vorankommen unterstützen könnten und welche nicht.

Video-Kurzreview

Erinnerungskulturelle Bedeutung

Road 96 sticht durch seine zeithistorische Verankerung in der Zeit der US-amerikanischen Trump-Legislatur hervor. Durch Rückgriffe auf die politische Rhetorik und die sozialen und politischen Verwerfungen dieser Jahre finden hier erste Verfestigungen einer Erinnerungskultur dieser Zeit statt.

Mit seinen Survival-Elementen, die in Form eines Roadtrips durch an Landstriche der USA erinnernde Topografien führen, erinnert Road 96 an The Flame in the Flood (2016) und Overland (2016). Bei allen drei Settings handelt es sich um post-katastrophische Settings, wobei dies in Road 96 v. a. auf die politische Situation in dem Sinne zutrifft, dass hier eine Demokratie zur Diktatur wurde. Eine weitere Ähnlichkeit liegt in dem nostalgischen Gestus der Vergangenheitsatmosphären, die alle drei Spiele umweht, diesen aber letztlich einen positiven, wenn auch melancholischen Grundton verleiht. Mit Overland hat Road 96 ebenfalls die spielmechanische Notwendigkeit zur sozialen Interaktion gemein, die den weiteren Verlauf des Spiels bestimmt. Dennoch hebt sich Road 96 in seinem politischen „Flucht“-Setting stark von den genannten Spielen ab, auch weil die Politik selbst in Form von affirmativen und ablehnenden Handlungen Teil der Game-Mechanik wird.

Diskussionspunkte

Im Vorlauf der Veröffentlichung blockierte Facebook auf seiner Plattform die Veröffentlichung eines Werbevideos zu Road 96. Facebook begründete diesen Vorgang mit einer Verletzung seiner Richtlinien für Wahlwerbung, soziale und politische Werbeanzeigen. Möglicherweise wurde die Bildbetitelung „Reach the Border“ als Kritik auf die Grenzüberwachung zwischen den USA und Mexiko verstanden. Dieses Vorkommnis wirft daher in erster Linie medienethische Fragen hinsichtlich der automatisierten Überprüfung von Videoinhalten bei Facebook auf: Kann eine solche Überprüfung möglicherweise zur Unterdrückung von Meinungs- und Kunstfreiheit führen?

Auf inhaltlicher Ebene wurde durch Rezensent*innen immer wieder der Punkt bemängelt, dass das Spiel zwar inhärent politisch sei, diese Politizität jedoch nur an der Oberfläche stattfinde. Es lasse keine Graustufen zu und wirke in diesem Schwarz-Weiß-Denken unglaubwürdig, verhindere sogar das kritische Einordnen beider Konfliktseiten. Zudem lässt sich festhalten, dass die Verfolgung der Teenager die reale Unterdrückung von marginalisierten Gruppen verharmlosen könnte, gerade weil die Teenager als Staatsfeinde überkonstruiert wirken und Probleme mit ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung etc. tendenziell ausgeblendet werden.

Einsatzmöglichkeiten

Die Gegenüberstellung von amerikanischen Freiheitsmythen und dem Prozess rechtsstaatlichen Abbaus einer Demokratie hin zu einer Diktatur, sowie ihre Folgen für die Zivilgesellschaft, werden in Road 96 gut umgesetzt. Auch wenn das Spiel tatsächlich zu eher oberflächlichen politischen Analysen neigt, reichen diese doch aus, um grundsätzliche Mechanismen zwischen der Arena der Öffentlichkeit, zwischen politischem Apparat, Zivilgesellschaft und Individuen nachzuzeichnen. Die jugendlichen Protagonist*innen, der comichafte Stil und die „warme“ Vergangenheitsatmosphäre, die auch auf medialen Tropen aufbaut, unterstützen die Spieler*innen dabei, diese empathisch nachzuvollziehen. Allerdings müssten die hier benutzen politischen Mythen und narrativen Tradierungen ebenso thematisiert werden, um das Spiel auch hinter seiner spielmechanischen und ästhetischen Umsetzung von Politik zu verstehen. Auch der Umgang mit politischen Computerspielen in sozialen Medien könnte mittels Road 96 beispielhaft thematisiert werden.

Das Spiel ist insgesamt mit einer Spieldauer von rund acht Stunden recht kurz gehalten und daher gut anwendbar. Steuerung und Hardwareanforderungen sind eher niederschwellig. Zugleich ist es durch die Distribution auf allen gängigen Spieleplattformen leicht zugänglich und mit einem Preis von derzeit rund 30€ vergleichsweise kostengünstig.

Hilfreich könnte auch die auf der Distributionsplattform Steam erhältliche Dokumentation zur Entwicklung des Spieles sein, diese ist derzeit allerdings nur in französischer Sprache und mit englischen Untertiteln erhältlich.


Weiterführendes Material

  • Jenkins, Henry, Gabriel Peters-Lazaro, and Sangita Shresthova. Popular Culture and the Civic Imagination: Case Studies of Creative Social Change. New York: New York University Press, 2020.
  • Ochonicky, Adam R. The American Midwest in Film and Literature: Nostalgia, Violence, and Regionalism. Bloomington: Indiana university press, n.d.
  • Pfister, Eugen, Görgen, Arno. „Politische Transferprozesse in digitalen Spielen – Eine Begriffsgeschichte“, in: Görgen, Arno & Simond, Stefan E. (Hg.): Krankheit im digitalen Spiel, Bielefeld: transcript Verlag, S. 51-74.

Zitierempfehlung

Görgen, Arno. „Road 96“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 15.11.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Migration Lab Germany aus Mitteln der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ), der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefördert.