Oddworld: New ’n‘ Tasty
Als Abe, ein außerirdischer Zwangsarbeiter und Angehöriger der Mudokons, müssen die Spieler*innen Oddworld: New ’n‘ Tasty den Genozid am eigenen Kollektiv durch das Regime der feindlichen Glukkons verhindern.
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
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Bei Oddworld: New ’n‘ Tasty handelt es sich um einen klassischen 2D-Platformer bzw. ein Jump ’n‘ Run mit Puzzle-Elementen, d. h. das Ziel des Spiels besteht darin, die Spielfigur Abe durch Laufen, Schleichen, Springen und das Betätigen einzelner Hebel oder Knöpfe sicher durch ein Labyrinth und an den Gegnern vorbei zu steuern und zugleich möglichst viele verbündete Mudokons über ein von Abe aufrufbares Portal zu retten.
Für Abe ist es ein Schock, als der außerirdische Zwangsarbeiter eher zufällig erfährt, dass in der Lebensmittelfabrik „Rupture Farms“, in der er arbeitet, statt der bisherigen dort geschlachteten Nutztiere sein eigenes, durch die gierigen Glukkons versklavtes Volk der Mudokons zum Lebensmittelprodukt „New ’n‘ Tasty“ weiterverarbeitet werden soll. Dabei wird er entdeckt und – will er überleben – zur Flucht aus dem Komplex gezwungen. Als er, nach erfolgreichem Ausbruch und Rettung seiner Mitgefangenen, von einem Mudokon-Schamanen erfährt, dass er der prophezeite Retter seines Volkes sei, muss er – nach einigen Prüfungen seiner Würdigkeit – in die Industrieanlage zurückkehren, die Glukkons und deren Anführer Molluk aufhalten und die verbliebenen Leidensgenossen vor der drohenden „Vergasung“ durch ihre bösartigen radikalkapitalistischen Unterdrücker retten.
Video-Kurzreview
Erinnerungskulturelle Bedeutung
Oddworld: New ’n‘ Tasty, das Remake des 1997 erschienen Abe’s Oddysee, tradiert etablierte popkulturelle Tropen von Zwangsarbeit, Klassenkampf, Genozid, Kolonialismus sowie Kapitalismus und liefert somit im Kreislauf des sozialen Gedächtnisses der Massenmedien einen Beitrag zur Erinnerungskultur um die genannten Themen. Dabei bleiben die historischen Referenz immer nur Andeutung, beispielsweise verweisen Lagerästhetik und Spielmechaniken wie die Gefahr der „Vergasung“ klar auf die Shoah, allein schon aus erzähllogischen Gründen (das Setting ist rein fiktiv) bleibt hier jedoch eine Vertiefung aus. Diese Abstraktion historischer Verweise ist durchgängig festzustellen.
New ’n‘ Tasty bildet das erste einer ganzen Reihe von Oddworld-Spielen und ist bis heute ohne Zweifel auch das erfolgreichste dieser Reihe. Zwar schöpft Oddworld: New ’n‘ Tasty spielmechanisch Inspiration aus Genre-Klassikern wie Flashback (1992) und Prince of Persia (1989), ästhetisch wie narrativ sticht das Spiel jedoch mit seinen erwachsenen Themen und seinem comicartigen, humorvollen Stil hervor. Obwohl die Verarbeitung dieser Themen über historisch gewachsene politische Mythen geschieht, sollte das Spiel laut Lorne Lanning, Mitbegründer des Entwicklerstudios Oddworld Inhabitants, auf zeitgenössische Missstände und die Doppelmoral von Unternehmen im Umgang mit Natur und Mensch hinweisen.
An Oddworld: New ’n‘ Tasty lässt sich daher gut ablesen, wie geschichtliche Ereignisse und Prozesse im historischen Verlauf ihrer popkulturellen Tradierung zunehmend abstrakt erzählt werden, um schließlich als um sich selbst zirkulierende und sich selbst erklärende Mythen als Versatzstücke in Erzählungen genutzt zu werden, kurz: wie Erinnerung zu Geschichte und dann zu Geschichten wird.
Diskussionspunkte
Der comichafte Stil des Spiels, seine lineare Erzählweise und die Konzentration auf das Jump ’n‘ Run-Gameplay führen dazu, dass die Story und ihre einzelnen Charaktere mit sehr kräftigen Pinselstrichen gezeichnet wurden. Dieses plakative Element zeigt sich u. a. in der stereotypen Darstellung der Mudokons, die ein Amalgam aus Vorstellungen einer Hippie-Kultur und Ideen des „Bon Sauvage“, des „Edlen Wilden“, darstellen. Die Glukkons auf der anderen Seite perpetuieren die visuelle Sprache antisemitischer, antimoderner Karikaturen des Kapitalisten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Selbst wenn dies unintendiert geschehen ist, so ist dieser Umstand doch kritisch anzumerken und sollte bei der didaktischen Verwertung des Spiels unbedingt aufgegriffen werden. Schließlich lässt sich allgemein festhalten, dass das Spiel nur relativ wenig Weltenbau betreibt. Die einzelnen Kulturen bleiben blass und oberflächlich, tatsächliche Antworten zur Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft, zu Fragen der Kolonialisierung und zu kulturellen Fragen lassen sich nur holzschnittartig beantworten und gewinnen ihre Brisanz eher aus einer notwendigen historischen Kontextualisierung.
Einsatzmöglichkeiten
Oddworld: New ’n‘ Tasty ist ein einfaches Spiel, das sehr schnell grundlegende Elemente der Spielwelt und seiner Geschichte etabliert. Dieser schnelle Einstieg, seine recht abstrakte Gewaltdarstellung und der einfache Humor (Furzwitze!) erlauben und unterstützen dessen Nutzung auch für Kinder ab zwölf Jahren. Vorteilhaft ist auch, dass es Portierungen für diverse Plattformen gibt und somit gut von allen Schüler*innen gespielt werden kann.
Insbesondere lässt sich an dem Spiel gut erkennen, wie historische Prozesse und Ereignisse im Verlauf der Zeit zunehmend an faktischer Schärfe verlieren können, abstrahiert werden, und als politische Mythen und ideengeschichtliche Tropen tradiert werden. Dies gilt insbesondere für die unintendierte Implementierung antisemitischer Stereotype, die Etablierung der Erinnerungskultur um den Nationalsozialismus als prototypischen Zeichensystems eines Genozids, kulturhistorische Konfliktlinien wie den wahrgenommenen Gegensatz von Kultur und Natur, Rassismus als Folge/Ursache von Kapitalismus/Kolonialismus oder die Vereinfachung von Darstellungen sozialer Systeme und ihrer Konflikte (Klassenkampf).
Spielmechanisch lässt sich die Unausweichlichkeit und Gewalt des Lagersystems aufgreifen. Die vermeintlich totale Überwachung, die rücksichtslose Gewaltanwendung, dessen Unübersichtlichkeit (trotz des Grundgedankens einer Rationalisierung von Gewaltanwendung) – dies sind Elemente, die sich sehr schnell erschließen lassen sollten.
Spannend wird das Spiel für den Unterricht besonders deshalb, weil es auf den ersten Blick recht unscheinbar eine generisch scheinende Science Fiction-Mär erzählt, die jedoch durch die abstrakte historische Kontextualisierung an überraschender Tiefe gewinnt.
Weiterführendes Material
- Dutton, Fred. „Behind The Classics – Oddworld: Abe’s Oddysee.” Playstation.Blog, 28.09.2012,abgerufen am 20.11.2021.
- Luhmann, Niklas. Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009.
- o. A. “The Making of Abe’s Oddyssey.” Magog on the March, 19.07.2010, abgerufen am 20.11.2021.
- Pfister, Eugen. „Roland Barthes Mythos-Begriff.“ Spiel-Kultur-Wissenschaften, 21.10.2015, abgerufen am 20.11.2021.
- Pfister, Eugen/Görgen, Arno. „Politische Transferprozesse in digitalen Spielen – Eine Begriffsgeschichte“, in: Görgen, Arno & Simond, Stefan E. (Hg.): Krankheit im digitalen Spiel, Bielefeld: transcript Verlag, S. 51-74.
- Warrick, Douglas F. “Oddworld remains the cutest parable of proletariat uprising ever made.” Killscreen, 21.04.2015, abgerufen am 20.11.2021.
Zitierempfehlung
Görgen, Arno. „Oddworld: New ’n‘ Tasty“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 15.12.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]