München ’72. Social VR Experience

Die München ’72. Social VR Experience ist ein Virtual Reality-Museum, in dem Spieler*innen einen Einblick in die Olympischen Spiele 1972 erhalten. Die VR-Experience gipfelt im terroristischen Attentat vom 5. September 1972 und endet mit einem digitalen Erinnerungsort für die Opfer.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: Bayrischer Rundfunk (Deutschland)
  • Publisher: Bayrischer Rundfunk
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Genre: Serious Game
  • Thema: Antisemitismus, Politische Radikalisierung
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Kostenlos
  • Vermittlungspotenzial Mittel
  • Zeitaufwand Gering
  • Komplexität Mittel
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Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Tabea Henn

Tabea Henn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promoviert zum Thema Jüdisches Kulturerbe und Digital History.

Die „heiteren Spiele“ von München 1972 sollten 36 Jahre nach der Olympiade in Berlin bewusst ganz anders als die Wettkämpfe der Nationalsozialisten werden. Bis zum 5. September ging dieser Plan auf. Dann nahm die palästinische Terrororganisation „Schwarzer September 11″ israelische Sportler als Geiseln und ermordete sie nach einem missglückten Befreiungsversuch der deutschen Polizei. Aus dieser Geschichte entwickelte der Bayrische Rundfunk ein Virtual Reality-Museum. Dort folgen Spielende durch fünf Welten dem chronologischen Ablauf von der Eröffnung der Spiele am 26. August über die ersten Wettkampfstage bis zum frühen Morgen der Geiselnahme und ihrem verheerenden Ausgang. In der First-Person-Perspektive erkunden die Spielenden die unterschiedlichen Orte. Grundsätzlich ist man dabei relativ frei in der Erkundung und kann entscheiden, ob man sich zum Beispiel anhört, wie die Sportler*innen der DDR untergebracht waren und sie ihre Tage außerhalb der Wettkämpfe verbrachten, oder ein paar Basketbälle wirft. Die Anwendung endet mit einem digitalen Erinnerungsort für die Opfer des Attentats. 

Erinnerungskulturelle Bedeutung

Im Jahr 2022 veröffentlichte der Bayrische Rundfunk (BR) die Virtual Reality-Anwendung München72, anlässlich des 50. Jahrestages der Olympischen Spiele in München 1972 und des Olympiattentats auf die israelische Mannschaft. Das ausgewählte Jahr ist kein Zufall. Jubiläen und Gedenktage sind ein fester Bestandteil der westlichen Erinnerungskultur und „runde“ Daten werden gerne zu einer erneuten Beschäftigung und Reflexion der Ereignisse genutzt. Die Olympischen Spiele von München blieben in ambivalenter Erinnerung. Einerseits waren es die meiste Zeit spannende Wettkämpfe, wo sich Deutschland der Welt nach der NS-Zeit neu präsentieren konnte. Andererseits konnten die israelische Sportler*innen nicht geschützt werden, obwohl deren Teilnahme gerade die fortschreitende Versöhnung zwischen beiden Ländern demonstrieren sollte. Die VR-Anwendung bildet diese Spannung ab. Zunächst folgt man der Eröffnung der Spiele und schaut sich den Alltag und die (Wettkampf-)Stätten an. Der Fokus liegt dabei stets auch auf der israelischen Mannschaft. Ab der dritten Spielwelt geht es nur noch um das Olympiaattentat. Die Nutzenden bleiben immer auf Distanz und erfahren die Ereignisse beispielsweise über Radio- oder Fernsehberichte. Den Abschluss bildet ein digitaler Erinnerungsort, der an alle Opfer erinnert, und in einer nachempfundenen Abflughalle wird gezeigt, wie die Olympischen Spiele weitergingen und die israelische Mannschaft mit ihren getöteten Kameraden Deutschland verließ. 

Diskussionspunkte

Seit den 1990ern wird Geschichte immer mehr über das Erleben vermittelt. Virtual Reality gilt als der nächste technische Schritt, um die Geschichtsvermittlung interaktiver und immersiver zu gestalten. München ’72 bewegt sich zwischen Zeitreise und Museum. Der Bayrische Rundfunk ist sehr darum bemüht, das Jahr 1972 und die Stimmung der Olympischen Spiele einzufangen. Die Immersion der Nutzenden wird immer wieder durchbrochen, wenn beispielsweise von einer „freien Interpretation“ die Rede ist oder in der ersten Welt auf dem Olympiaturm die Umgebung des Olympiaparks aus der Gegenwart ist. In allem bleibt die virtuelle Welt aber hinter ihren Erwartungen zurück. Man kann zwar Umkleidetüren öffnen oder einen Hürdenlauf absolvieren, aber die meiste Zeit steht man vor Infotafeln oder hört sich Radio- oder Fernsehberichte an. Originalaufnahmen machen die Ereignisse zwar greifbarer, doch häufig ist die Auflösung sehr schlecht, sodass nur wenig zu erkennen ist. Der Fokus auf die israelische Mannschaft und das Olympiaattentat ist richtig. Doch das Ende ist unbefriedigend und zu unterkomplex erzählt. Weder wird das Attentat in den Nahost-Konflikt eingeordnet noch die Rolle Deutschlands bei der Aufarbeitung der Ereignisse beleuchtet. Stattdessen steht man vor verschlossener Tür in einer Abflughalle und kann die Anwendung nur noch selbst beenden. 

Einsatzmöglichkeiten

Eine VR-Brille wird für München ’72 nicht zwingend benötigt und kann problemlos auch in einem Browserfenster gespielt werden. Für den Einsatz im Unterricht könnten die Anforderungen der Anwendung an einen Computer aber zu hoch sein. Zwar werden nicht die neuesten Grafikkarten benötigt, aber ein reiner Arbeits-PC zum Texte schreiben oder E-Mails lesen ist nicht ausreichend. Ein (offizielles) Let‘s Play kann angesehen werden, doch sich das Gameplay ohne Bezug anzuschauen ist wenig sinnvoll, da die Anwendung von der eigenen Interaktion lebt und dafür konzipiert wurde. Für den Bayerischen Rundfunk ist die Anwendung selbst ein Experiment. Die Umsetzung kann deswegen auch direkt mit den Schüler*innen besprochen werden.: Was finden sie gelungen und welche Teile hätten sie anders gestaltet? Vergleichend können dazu Pressestimmen herangezogen werden und mit den Erwartungen und Erfahrungen der Schüler*innen abgeglichen werden. Im Anschluss könnten Schüler*innen in der Theorie ein eigenes VR-Museum (zu einem beliebigen Thema) entwerfen. 

Inhaltlich lässt sich kontrafaktisch überlegen, was hätte getan werden müssen, um die israelischen Geiseln zu befreien. Was hat sich seitdem in Deutschland geändert, damit es nie wieder zu so einem Ereignis kommt? 

Schlussendlich lässt sich thematisieren, wie Gedenken in der digitalen Welt aussehen kann und inwiefern dieses in München ’72 aus Sicht der Schüler*innen angemessen geschieht. 


Weiterführendes Material

  • Bonini, Elena. “Building Virtual Cultural Heritage Environments. The Embodies Mind at the Core of the Learning Processes.” International Journal of Digital Culture and Electronic Tourism 1, no. 2/3 (2008): 113–25. 
  • Bundesministerium des Innern und für Heimat. “Aufarbeitung des Attentats 1972.” Bundesministerium des Innern und für Heimat, February 9, 2024. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/historikerkommission-1972/historikerkommission-1972-artikel.html. 
  • Bösch, Frank. “Im Bann Der Jahrestage.” Aus Politik und Zeitgeschichte, August 7, 2020. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/313636/im-bann-der-jahrestage-essay/. 
  • Fenske, Michael. “Abenteuer Geschichte. Zeitreisen in der Spätmoderne. Reisefieber Richtung Vergangenheit.” In History Sells!, edited by Wolfgang Hardtwig and Alexander Schug, 79–90. Stuttgart, 2019. 
  • Lee, Hyunae, Timothy Hyungsoo Jung, M. Claudia tom Dieck, and Namho Chung. “Experiencing Immersive Virtual Reality in Museums.” Information and Management 57, no. 5 (July 2020): 1–9. 
  • Samida, Stefanie. “Moderne Zeitreisen oder die Performative Aneignung vergangener Lebenswelten.” Forum Kritische Archäologie 3 (2014): 136–50. 

Zitierempfehlung

Henn, Tabea. „München 72. Social VR Experience “. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 14.03.2024 [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts "Let's Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort" in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.