Spielcover: Loulu

Loulu

In der konstenlosen App Loulu schleichen sich die Spieler*innen via simulierter Sozialer Medien in ein rechtsextremes Netzwerk ein, um die Motive hinter eine Attacke auf eine Influencerin herauszufinden, die in ihrem Suizid mündete. Spielziel ist es, ein an reale Vorbilder angelehntes Handbuch für rechte Influencer*innen-Strategien öffentlich zu entlarven.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: minge+schmidt (Deutschland)
  • Publisher: onlinetheater.live / HAU Hebbel am Ufer
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Genre: Serious Game
  • Thema: 21. Jahrhundert, Antisemitismus, Politische Radikalisierung
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Kostenlos
  • Vermittlungspotenzial Mittel
  • Zeitaufwand Gering
  • Komplexität Gering
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Johannes Eickhorst / Redaktion Stiftung Digitale Spielekultur (Christian Huberts)

Johannes Eickhorst hat nach seinem ersten fachwissenschaftlichen Abschluss der Geschichts- und Politikwissenschaften ein zweites Studium für das gymnasiale Lehramt begonnen und arbeitet nebenberuflich als Lektor und im bildenden Bereich.

Loulu ist in der Gegenwart angesiedelt und versucht die Strategien rechter InfluencerInnen in den Sozialen Medien sichtbar und anhand einer fiktiven Erzählung erfahrbar zu machen. Loulu wurde von der Theatergruppe onlinetheater.live und dem HAU Hebbel am Ufer produziert und steht als kostenlose App für aktuelle Smartphones und Tablets mit den Betriebssystem iOS oder Android zum Download bereit. Die SpielerInnen werden in der App auf einen durch rechte InfluencerInnen inszenierten Shitstorms aufmerksam, der sich gegen eine befreundete Videoproduzentin auf einer an den Videodienst TikTok angelehnten Online-Plattform richtet. Um die Motive hinter den Attacken zu ergründen und zukünftige Angriffe zu verhindern, müssen sich die SpielerInnen in ein rechtsextremes Netzwerk einschleichen, um ein an reale Vorbilder angelehntes Handbuch für rechte InfluencerInnen-Strategien öffentlich zu entlarven. Dazu kommunizieren sie über Chat-Nachrichten mit Verbündeten und Rechtsextremen, durchsuchen Fotos und Videos in realitätsnah nachgebildeten Sozialen Medien. Hierbei ist es unter anderem die Aufgabe der Spielenden, so lange rechte Posts und Beiträge rund um die scheinbar harmlose, titelgebende Influencerin Loulu zu „liken“, bis der rudimentär nachgebildete Content-Algorithmus zunehmend offen extremistische Inhalte und Nutzerprofile vorschlägt. Sind die Beiträge anfangs noch relativ unverfänglich, etwa Kochrezepte und Flirt-Tipps, verbreiten sie im weiteren Spielverlauf völkische, nationalistische, antisemitische, rassistische, antifeministische und LGBTQ-feindliche Aussagen. Eine entsprechende Inhaltswarnung geht dem Spiel vorweg.

Erinnerungskulturelle Bedeutung

Sowohl nationale Einzelgesellschaften als auch die globale Gesellschaft als Ganzes befinden sich gegenwärtig in umfassenden Wandlungsprozessen, die aus gesellschaftlichen Umbrüchen wie der Globalisierung, der Digitalisierung oder dem Klimawandel resultieren. In dieser sich stetig verändernden Welt ist es besonders für junge Menschen zunehmend schwierig, eine demokratisch-pluralistische Identität auszubilden, da bislang etablierte politische, soziokulturelle und religiöse Orientierungsstrukturen in einer vernetzten Welt an Bedeutung verloren haben und in Konkurrenz zu neuen Angeboten der Identitätsstiftung stehen – insbesondere durch extremistische Gruppierungen und Ideologien. Vor allem soziale Netzwerke spielen hier eine Rolle, die mit ihren intransparenten Content-Algorithmen und laxer Moderation unter dem Verdacht stehen, so genannte „Filterblasen“ ohne Gegenrede zu erzeugen, extremistische Inhalte zu verbreiten und nicht hinreichend zu regulieren. Die App Loulu versucht ebenjene Algorithmen bzw. deren Funktionsweisen auf realitätsnahe Art und Weise darzustellen. Das stetige „Liken“ rechter Inhalte führt konsequent in eine Filterblase mit immer expliziteren Aussagen hinein, moderate oder progressive Stimmen werden seltener. Dabei orientiert sich das Spiel eng an realen Vorbildern wie identitären Gruppen und rechtspopulististische Parteien, verfremdet diese jedoch. ExpertInnen zu Online-Radikalisierung wurden im Entwicklungsprozess ebenfalls hinzugezogen. Von besonderer erinnerungskultureller Relevanz ist, dass sich die dargestellte Rhetorik der Rechtsextremen unter anderem um Begriffe wie „Heimat“, „Tradition“ oder „Volk“ dreht und damit an nationalsozialistische und neonazistische Begriffstraditionen anknüpfen. Ebenso verweisen Verschwörungsmythen wie der „große Austausch“ auf antisemitische Erklärmuster der Gegenwart. Loulu ist mit dieser expliziten Thematisierung des modernen Rechtsextremismus – neben Titeln wie Jessika (2020) oder Hidden Codes (2021) – weitgehend einzigartig.

Diskussionspunkte

Die App Loulu hat das Ziel, die Strategien rechter InfluencerInnen in sozialen Netzwerken und Messenger-Chats aufzudecken. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Spielenden unter anderem so lange rechte Beiträge „liken“ und abonnieren, bis der Algorithmus sie so weit „rechts“ einstuft, dass sie ggf. in interne Chats von rechtsextremen Gruppen eingeladen bzw. rekrutiert werden können. Auch wenn das Ziel von Loulu Aufklärung ist und auch Gefahren dieser Recherche anspricht, muss das akute Risiko diskutiert werden, dass so ein Verhalten in der Realität auch die Reichweite rechten Gedankenguts vergrößern und unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Es ist daher wichtig, beim Umgang mit der App Loulu explizit darauf hinzuweisen, dass die Infiltrierung rechter Netzwerke nicht nachgeahmt werden darf, sondern ExpertInnen wie etwa investigativen JournalistInnen überlassen bleiben muss. Ebenso kann kritisch diskutiert werden, ob die explizite und detaillierte Darstellung rechter Online-Kommunikations-Strategien und Rhetoriken – beispielsweise das Erschaffen von einfachen Feindbildern, die Selbstverharmlosung durch Witz und Ironie oder die Täter-Opfer-Umkehr – auch als Anleitung und Vorbild dienen kann. Das Bewusstseins der MacherInnen gegenüber diesem potentiellen Missbrauch wird innerhalb des Spiels jedoch aktiv durch aufklärende und einordnende Posts und Beiträge, die die Botschaften und Motive in den rechten Beiträgen und Videos beleuchten, sichtbar. Trotzdem empfiehlt sich gerade in Bildungskontexten aufgrund der realitätsnahen und emotionalisierenden Darstellungsweise der App eine intensive pädagogische Begleitung. Insbesondere über eine angemessene Altersempfehlung, die bisher noch nicht existiert, sollte intensiv und verantwortungsbewusst nachgedacht werden. Die Inhaltswarnung zu expliziten Inhalten am Beginn von Loulu ist zu beachten.

Einsatzmöglichkeiten

Gerade für den Einsatz in Bildungskontexten und für jüngere Zielgruppen ist die Inhaltswarnung von Loulu zu beachten: In dieser App kommen rechtsextreme, antisemitische, frauen- und LGBTQIA+-feindliche Charaktere und Inhalte sowie gewaltvolle Sprache vor.

Die App lässt sich nicht nur sinnvoll in bildungspolitischen Kontexten wie dem Schulunterricht (Geschichte, Politik, Gesellschaftskunde; aufgrund der fehlenden Altersempfehlung durch die USK ist ein Einsatz jedoch erst ab der Oberstufe angemessen), sondern auch in den privaten Lebenswelten junger Menschen, beispielsweise im Kontext von Jugendorganisationen, Arbeitsgemeinschaften, Jugendinitiativen etc. einsetzen. Die technischen Anforderungen sind sehr gering, die Spielenden müssen lediglich ein Smartphone oder ein Tablet mit dem Betriebssystem iOS oder Android besitzen.

Loulu eignet sich insbesondere dazu, die Wirkweise von Content-Algorithmen sowie die Strategien moderner rechtsextremer Akteure in den Sozialen Medien in einem sicheren und an die Lebenswelt junger Menschen angepassten Rahmen aktiv erfahrbar zu machen, zu diskutieren und mit eigenen Erfahrungen beim Bewegen im Internet abzugleichen. Die App bietet dabei von sich aus bereits viele Ansätze und Materialien dafür, die Motive rechter InfluencerInnen zu hinterfragen, ihre Rhetorik und Ästhetik zu durchschauen und sich solidarisch gegen Hass und Hetze zu verbünden. Kritisch einzuordnen sind dabei die Risiken der Recherche in realen rechten Netzwerken sowie der Nachahmung gezeigter Strategien und Gegenstrategien. Eine intensive pädagogische Begleitung und inhaltliche Vorbereitung ist gerade im Bildungskontext stark angeraten und kann zusätzlich dazu beitragen, die Resilienz gegenüber extremistischen Ideologien im analogen und digitalen Alltag zu stärken.


Weiterführendes Material

  • Ayyadi, Kira: Rechte Influencerinnen. Rechtsextreme Inhalte schön verpackt, 25.08.2021, zuletzt aufgerufen am 10.12.2021.
  • Beck, Laura: Rechte Influencerinnen und ihre Strategien, in: Das Erste, 17.10.2021, zuletzt aufgerufen am 10.12.2021.
  • Beyersdörfer, Alexandra/Ipsen, Flemming/Eisentraut, Steffen/WöRner-Schappert, Michael /Jellonnek, Fabian: Vernetzter Hass. Wie Rechtsextreme im Social Web Jugendliche umwerben, in: Jugendschutz.net (Hrsg.), 2017.
  • Brandenburg, Verfassungsschutz 2008: Strategien gegen Extremismus im Internet, Extremismus 2.0 – die dunkle Seite des Internets. Eine Veranstaltung des Verfassungsschutzes am 28. November 2008 in Potsdam.
  • Ebner, Julia/Riesselmann, Kirsten: Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung), Bonn 2020.
  • El-Wereny, Mahmud: Radikalisierung im Cyberspace, Bielefeld 2020.
  • Fielitz, Maik/Marcks, Holger: Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus, Berlin 2020.
  • Frankenberger, Patrick: Radikalisierungsfaktor Internet? Jugendliche im Fokus dschihadistischer Propaganda, in: Kärgel, Jana (Hrsg.) „Sie haben keinen Plan B“. Radikalisierung, Ausreise, Rückkehr, zwischen Prävention und Intervention. Bonn 2018.
  • Frankenberger, Patrick/Hofmann, Ingrid/Ipsen, Flemming/Oezmen, Fehime/Zarabian, Nava: Lagebericht Rechtsextremismus im Netz, Bericht 2018, Jugendschutz.net.
  • Frischlich, Lena/Rieger, Diana: Hass im Netz – Hass im Herzen? Die Wirkung rechtsextremistischer und islamistisch-extremistischer Online Propagandavideos und mögliche Gegenangebote im Netz, 2017, zuletzt aufgerufen am 07.12.2021.
  • Kahl, Martin: Was wir über Radikalisierung im Internet wissen – Forschungsansätze und Kontroversen, Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit: Radikalisierung. Schwalbach am Taunus 2018.
  • Knipping-Sorokin, Roman/Stumpf, Teresa: Radikal Online – Das Internet und die Radikalisierung von Jugendlichen: eine Metaanalyse zum Forschungsfeld, in: SSOAR (Hrsg.), 2018.
  • Mick Prinz – Good Gaming – Well Played Democracy: Interview zum Spiel „Loulu“. „Radikalisierung ist ein schleichender Prozess“, Interview mit dem Game-Entwickler Caspar Weimann, 21.06.2021, zuletzt aufgerufen am 10.12.2021.
  • Oppel, Max: Game „Loulu“. Dem Algorithmus rechte Einstellungen vorgaukeln, Natalja Joselewitsch im Gespräch mit Max Oppel, in: Deutschlandfunk Kultur, 15.06.2021, zuletzt aufgerufen am 10.12.2021.
  • Pauwels, Lieven /Brion, Fabienne J. R./Schils, Nele /Laffineur, Julianne/Verhage, Antoinette /De Ruyver, Brice /Easton, Marleen: Explaining and understanding the role of exposure to new social media on violent extremism. An integrative quantitative and qualitative approach, Gent 2014.

Zitierempfehlung

Eickhorst, Johannes. „Loulu“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 15.12.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus gefördert.