Kentucky Route Zero

Im Point & Click-Spiel Kentucky Route Zero begleiten die Spieler*innen den Fernfahrer Conway auf einer Lieferung von Antiquitäten, die er über die mysteriöse Route Zero zum Zielort bringen soll. Im magisch-realistischen Stil des Spiels gestaltet sich die Fahrt jedoch durch die Begegnungen mit verschiedensten Menschen, Orten und Zeiten vielmehr als Erfahrung, wie sich Geschichte selbst in Raum und Zeit manifestiert.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: Cardboard Computer (USA)
  • Publisher: Cardboard Computer, Annapurna Interactive
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Genre: Adventure, Point-and-click
  • Thema: 21. Jahrhundert, Wirtschaft, Wissenschaftsgeschichte
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Englische Sprachversion
  • Vermittlungspotenzial Gering
  • Zeitaufwand Mittel
  • Komplexität Gering
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

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Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Rüdiger Brandis

Rüdiger Brandis promoviert zum Einfluss von Geschichtstheorie auf die Entwicklung historischer Spiele an der Universität Göttingen. Er arbeitet als Game Producer und Designer.

In Kentucky Route Zero übernehmen Spielende die Kontrolle über den Lieferfahrer Conway, der eine Reihe von Antiquitäten an eine zunächst unbekannte Adresse in Kentucky liefern soll. Auf seiner Reise über die Highways Kentuckys begegnet Conway mysteriösen Gestalten in verlassenen Dörfern. Er erkundet alte Minen und unterirdische Höhlensysteme. Das Setting vermischt Elemente des real existierenden Kentuckys mit Geistergeschichten, Mythen.

Vordergründiges Ziel des Spiels ist es, Conways Antiquitäten auszuliefern. Tatsächlich ist Kentucky Route Zero aber eine interaktive Geschichte, in der es darum geht, Orte, Menschen und ihre Geschichten zu erkunden. Spielerisch geschieht dies zum einen durch eine einfache Point-&-Click-Mechanik. Mit dieser kann die Spielfigur durch die Level bewegt werden. Zum anderen benutzt das Spiel eine Textadventure-Mechanik, die sowohl in Gesprächen mit Nichtspielercharakteren als auch in der Interaktion mit der Umwelt selbst zum Einsatz kommt.

Video-Kurzreview

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Erinnerungskulturelle Bedeutung

Kentucky Route Zero wurde nach der globalen Finanzkrise von 2008 und dem daraus resultierenden finanziellen Chaos konzipiert. Inhaltlich beschäftigt sich das Spiel mit dem Strukturwandel lokaler Ökonomien und Geschäftssterben im ländlichen und kleinstädtischen Milieu der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein klarer zeitgeschichtlicher Bezug zu konkreten Ereignissen wird jedoch konsequent vermieden. Auch eine realistische Darstellung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse wird nicht angestrebt. Stattdessen wird der reale Raum Kentuckys, der von Nationalparks, Kleinstädten und Überresten der amerikanischen Kohleindustrie geprägt ist, mit absurden und magischen Elementen vermischt. Vergangenheit und Gegenwart scheinen parallel zu existieren. Durch diese Verschränkung stellt Kentucky Route Zero eine Verbindung zwischen der ökonomischen Realität der Spielfiguren, technologischen Infrastrukturen wie Minen, Verwaltungen und alten Computern und der Geschichte der Spielwelt selbst her. entsteht aus den Erzählungen der Spielfiguren, deren Inhalte jedoch nie statisch festgelegt, sondern oft mehrfach erzählt werden und dadurch teilweise widersprüchlich erscheinen. Kentucky Route Zero thematisiert so nicht nur das Sterben von Kleinstädten, sondern auch die Formierung von Erinnerung selbst, indem es beispielsweise lokale Mythen aus Kentucky mit der griechischen Mythologie und der Entwicklung des ersten Hypertextprojekts Xanadu verknüpft.

Diskussionspunkte

Kentucky Route Zero lässt sich nicht direkt mit historiographischen Debatten in Verbindung bringen, sondern ist vielmehr als spielerisch-literarisches Experiment zu verstehen, das die Konstruktion von Geschichte selbst thematisiert. Zunächst wird auf die US-amerikanische Zeitgeschichte nach der globalen Finanzkrise 2008 angespielt. Das Spiel verbindet diese Erzählebene mit der Geschichte der Kohleindustrie, ihren Niedergang im späten 20. Jahrhundert und dem damit einhergehenden Verfall von Dörfern und Städten in Kentucky. Neben diesen Bezügen zu realen gesellschaftspolitischen Entwicklungen bedient sich das Spiel auch zahlreicher literarischer Traditionen wie des Southern Gothic und des südamerikanischen Magischen Realismus, um Mythen und Legenden in der Welt von Kentucky Route Zero wieder auferstehen zu lassen. Ein besonderer Fokus liegt auf der . Spielfiguren aus verschiedenen Zeitebenen und ihre Geschichten werden auf diese Weise in Verbindung zueinander gesetzt. Dadurch wird Geschichte als ein fortlaufender Prozess dargestellt, in dem bestimmte gesellschaftliche Phänomene in ähnlicher Form wiederholt auftreten können. Geschichte ist nicht gleich Vergangenheit in Kentucky Route Zero, sondern vielmehr die erzählerische Manifestation dieser. In diesem Sinne prägen die Spielfiguren die Geschichte der Spielwelt durch den Akt des Erzählens ständig neu. Die Trennung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird so verwischt und implizit zur Diskussion gestellt.

Einsatzmöglichkeiten

Aufgrund seiner narrativen Komplexität, die sich durch intertextuelle Bezüge auszeichnet, ist eine vertiefende Auseinandersetzung mit Zusatzmaterialien, in denen diese Bezüge genauer diskutiert werden, unabdingbar, um das Spiel sinnvoll erfassen zu können. Dafür wird ein immenses kulturelles Vorwissen benötigt oder muss in Begleitung vermittelt werden. Entsprechend eignet sich das Spiel für die Behandlung in gesellschafts- und literaturwissenschaftlich orientierten Kursen der gymnasialen Oberstufe und der Universität. Lohnenswert erscheint diese Bearbeitung dennoch, da die Verschränkung von sozial- und kulturgeschichtlichen Themen, eine Auseinandersetzung mit dem Spiel aus unterschiedlichen thematischen Perspektiven ermöglicht. Insbesondere zeitgeschichtliche Themen der Geschichte der USA, aber auch im weiteren Sinne literarische und technologische Traditionen des Erzählens in westlichen Kulturen lassen sich anhand des Spiels nämlich sehr gut reflektieren. Die einfache Spielmechanik sowie die Verfügbarkeit auf allen gängigen Plattformen, vom PC über Konsolen bis hin zu mobilen Endgeräten, bedeuten zudem, dass das Spiel leicht zugänglich ist und kaum besondere Vorkenntnisse zur spezifischen Handhabung erfordert. Die lineare Struktur des Spiels in 5 Akten mit einer ungefähren Spieldauer von 12 Stunden ermöglicht es, das Spielen des Spiels in überschaubare Abschnitte zu unterteilen, was z.B. einem wöchentlichen Seminarrhythmus sehr zugute kommt.


Weiterführendes Material

Zitierempfehlung

Brandis, Rüdiger. „Kentucky Route Zero“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 14.03.2024 [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts "Let's Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort" in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.