Hell Let Loose
Im Taktik-Shooter Hell Let Loose treten zwei gegnerische Teams von bis zu 50 Spieler*innen an popkulturell prominenten Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkriegs gegeneinander an.
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
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Der Online-Taktik-Shooter Hell Let Loose spielt an den populärkulturell prominentesten Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkriegs: der Normandie, den Ardennen und der Ostfront in der Sowjetunion. Die Spieler*innen treten in zwei Teams mit jeweils bis zu 50 Spieler*innen gegeneinander an. Die Teams bestehen aus einem „Commander“, welcher Luftschläge, Aufklärungsflüge einsetzen und neue Fahrzeuge beschaffen kann, und Infanterie- und Panzertrupps von jeweils sechs bzw. drei Spieler*innen. Mit dem Ziel, bestimmte Sektoren innerhalb eines gewissen Zeitfensters einzunehmen bzw. zu verteidigen, müssen die Squadleader ihren Trupp befehligen und sich zusammen mit dem Commander koordinieren. In klassischer Ego-Shooter-Manier kann der Sieg ohne das Töten der Gegner*innen realistisch nicht erreicht werden. Die Koordinierung zwischen den Teammitgliedern ist deutlich wichtiger als in actionlastigeren Shootern der Call of Duty– oder Battlefield-Reihe.
Video-Kurzreview
Erinnerungskulturelle Bedeutung
Obwohl Hell Let Loose an vielen bekannten Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs, beispielsweise in Carentan, Stalingrad oder bei Kursk spielt, findet eine Einordnung der historischen Zusammenhänge nicht einmal auf militärgeschichtlich-operativer Ebene statt. Das Spiel nutzt populäre Schlachtfelder des zweiten Weltkriegs und knüpft an etablierte Darstellungen des Krieges als gleichwertigem Ringen zwischen pflichtbewussten Soldaten an. Die Gewaltverbrechen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches, insbesondere während des Ostfeldzuges, bleiben beispielsweise völlig unerwähnt. Das Spiel beschränkt sich ausschließlich auf den rein militärischen Konflikt zwischen Kombattanten regulärer Armeen.
Das Spiel knüpft damit an eine populärkulturell etablierte Darstellung des Zweiten Weltkrieges ohne nationalsozialistischen Vernichtungskrieg und Terrorherrschaft an. Damit stellt Hell Let Loose als Ersttitel von Black Matter jedoch keine Besonderheit dar. Selbst Taktik-Shooter, die immerhin narrative Einzelspieler-Kampagnen umfassen, wagen sich nur sehr zögerlich an vermeintlich „heikle“ Themen, die einen Widerstand in der Spieler*innenschaft erzeugen könnten. Das Spiel ist so weder inhaltlich noch spielmechanisch besonders innovativ. Allein die große Popularität des Spiels sowie der Versuch, einen vergleichsweise zugänglichen und leicht zu erlernenden Team-Shooter zu entwickeln, ohne die Taktik-Elemente zu sehr in den Hintergrund rücken zu lassen, macht Hell Let Loose gamesgeschichtlich relevant.
Diskussionspunkte
Hell Let Loose ist ein klassischer Online-Taktik-Shooter. Die Truppmitglieder nehmen im Spiel verschiedene Rollen ein. Ein Panzertrupp besteht aus Kommandant*in, Schütz*in und Fahrer*in. Bei der Infanterie können Spieler*innen zwischen den Klassen Kommandant*in, Gewehr, Automatik- oder Maschinengewehr, Sanitäter*in, Pionier*in, Unterstützer*in und Panzerabwehr wählen und Aufklärungstrupps verfügen über eine*n Truppführer*in und eine*n Scharfschütz*in. Außerdem müssen Ressourcen gesichert und mit Nachschub vorgelagerte Wiedereinstiegspunkte errichtet werden. In jeder Partie erhalten die Spieler*innen Erfahrungspunkte, mit denen neue Ausrüstungsvariationen für die jeweiligen Soldat*innen-Klassen freischaltet werden. Nicht-männliche Avatare fehlen dem Spiel ebenso wie ein Tutorial, das den Einstieg erleichtern könnte. Auch wenn Hell Let Loose kein „Hardcore-Shooter“ und beispielsweise zugänglicher als das verwandte Post Scriptum (2018) ist, erklären sich viele Aspekte nicht von selbst.
Aufgrund der relativ hohen Spieleranzahl in einer Partie und den schnellen Wiedereinstiegsmöglichkeiten nach dem Tod des Avatars spielt sich Hell Let Loose für einen Taktik-Shooter vergleichsweise hektisch, obwohl die Teams viel stärker auf Koordinierung angewiesen sind, als dies beispielsweise in Spielen der Call of Duty– oder Battlefield-Reihe der Fall ist.
Besonders diskussionswürdig ist die fehlende Kontextualisierung des Kriegsgeschehens und die damit einhergehende Reproduktion des Mythos der „sauberen Wehrmacht“. Es werden in der deutschen Version zwar keine verfassungsfeindlichen Symbole gezeigt, bei einem Sieg der Wehrmacht wird jedoch das NS-Propagandalied „Erika“ abgespielt. Im Spiel gibt es weder Zivilist*innen, noch Hinweise auf die Gewaltverbrechen der Wehrmacht insbesondere an der Ostfront.
Einsatzmöglichkeiten
Der Taktik-Shooter Hell Let Loose lässt sich ausschließlich im Online-Mehrspielermodus spielen. Er verfügt über keine Einzelspieler-Kampagne. Das Spiel benötigt einen leistungsstarken PC, sowie zwangsläufig ein Mikrofon zur Kommunikation mit den anderen Teammitgliedern. Die Länge einer Partie schwankt zwischen 30 Minuten und mehreren Stunden.
Das Spiel dürfte daher pädagogisch nur schwer mit aktivem Gameplay einsetzbar sein und bietet für die Vermittlung historischer Zusammenhänge nahezu keine Ansatzpunkte. Gleichzeitig zeigt das Spiel vergleichsweise brutale Gewaltauswirkungen und zerfetzte Leichen, welche die Alterseinstufung „ab 18“ begründen.
Dieses Spannungsverhältnis könnte didaktisch stellvertretend für die „weißgewaschene“ Darstellung in der Mehrzahl vor allem kompetitiver Spiele über den Zweiten Weltkrieg genutzt werden. Die Ausblendung potentiell anstößiger Themen abseits unmittelbarer Kampfhandlungen sowie die Fetischisierung von Militärtechnik und Soldatenromantik macht eine kritische Einordnung unumgänglich. Die Notwendigkeit zur Abstimmung mit dem eigenen Trupp und Team vermittelt Teambuilding- und Kommunikationskompetenzen, außerdem müssen regelmäßig Entscheidungen unter Zeitdruck in stressigen Situationen getroffen werden.
Weiterführendes Material
- Appel, Daniel, Christian Huberts, Tim Raupach, und Sebastian Standke (Hrsg.), „Welt|Kriegs|Shooter: Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien?“ Boizenburg: Hülsbusch, 2012.
- Bender, Steffen, „Virtuelles Erinnern. Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen.“ Bielefeld: transcript, 2012.
- Chapman, Adam, und Jonas Linderoth. „Exploring the Limits of Play. A Case Study of Representations of Nazism in Games.“ In The Dark Side of Game Play: Controversial Issues in Playful Environments, edited by Torill Elvira Mortensen, Jonas Linderoth, and Ashley ML Brown, 137-153. London: Routledge, 2015.
- Dawitz, Bastian, „Krieg bleibt immer gleich!? – Ein Plädoyer wider die Meistererzählung in Spielen zum 2. Weltkrieg.“ gespielt, 04.07.2020., zuletzt abgerufen am 16.12.2021.
Zitierempfehlung
Heinemann, Jan. „Hell Let Loose“. Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 15.12.2021. URL, zuletzt aufgerufen am: [Datum]