Spielcover: Heaven's Vault

Heaven’s Vault

Zentrale Spielmechanik von Heaven’s Vault ist die Suche der jungen Archäologin Aliya Elasra nach Artefakten einer untergegangenen Zivilisation, deren Inschriften sie – und mit ihr die Spieler*in – zunehmend lernt zu entziffern. Die auf diese Weise aufgedeckte Vergangenheit der orientalistisch angehauchten Science-Fiction-Welt bringt sie dazu, die Gottgegebenheit der sozialen und politischen Hierarchien, in denen sie sich bewegt, mehr und mehr zu hinterfragen.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: inkle Ltd. (Vereinigtes Königreich)
  • Publisher: inkle Ltd.
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Genre: Adventure, Puzzle
  • Thema: (Post-)Apokalypse, Flucht und Migration, Kolonialismus, Wissenschaftsgeschichte
  • Zugänglichkeit: Englische Sprachversion
  • Vermittlungspotenzial Mittel
  • Zeitaufwand Mittel
  • Komplexität Mittel
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Robert Heinze

Robert Heinze ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Afrika am Deutschen Historischen Institut Paris. Er forscht zur Zeitgeschichte Afrikas, insbesondere zu Medien- und Technologiegeschichte sowie zur Geschichte der informellen Ökonomie.

Heaven’s Vault erzählt eine Geschichte in einer orientalistisch angehauchten Science-Fiction-Welt in Steampunk-Optik. Die junge Archäologin Aliya Elasra wird von ihrer Professorin damit beauftragt, einen befreundeten Forscher zu suchen, der verschwunden ist. Einziger Hinweis ist eine Brosche, ein Artefakt einer untergegangenen Zivilisation. Nach und nach erkundet Aliyah auf der Suche nach dem verschwundenen Forscher die Geschichte dieses Imperiums und seines Falls. Dabei gerät sie zunehmend in Konflikt mit ihrer Professorin und der religiösen Hierarchie ihrer Gesellschaft, die ihren technisch relativ hohen Stand (inklusive Weltraumreisen mittels einer Art Solarsegelboote) auf Gaben der Götter zurückführt – Aliya findet heraus, dass diese Technologien in dem vergangenen Imperium entwickelt wurden. Auch die sozialen Hierarchien ihrer Gesellschaft (mit einem zentralen, wohlhabenden Planeten, der umliegende Planeten kolonial ausbeutet, mit akzeptiertem Sklavenhandel und großer Armut) stellt sie zunehmend infrage.

Zentrale Spielmechanik ist jedoch Aliyahs Suche nach Artefakten des Imperiums, deren Inschriften sie – und mit ihr die Spieler*in – zunehmend lernt zu entziffern. Aliya und ihr robotischer Begleiter diskutieren meist anhand des Materials und des Designs die Datierung und Herkunft des jeweiligen Artefakts, bevor die Inschriften – in einer Sprache und Schrift, von der Aliya zunächst nur rudimentäre Elemente kennt – entziffert werden müssen. Diese geben Hinweise auf Geschichte und Untergang des rätselhaften Imperiums, erschließen neue Ziele auf der Weltkarte und treiben die Geschichte narrativ voran. Mit Hilfe weiterer Nebenfiguren und unter Anwendung historischer und linguistischer Methoden, erkundet Aliya zahlreiche solcher Artefakte und findet so mehr über die Geschichte des untergegangenen Imperiums heraus – die auch die Geschichte ihrer eigenen Gesellschaft ist. Dies bringt sie dazu, die Gottgegebenheit der sozialen und politischen Hierarchien, in denen sie sich bewegt, mehr und mehr zu hinterfragen.

Erinnerungskulturelle Bedeutung

Heaven’s Vault stellt keine besondere historische Periode in sein narratives und ästhetisches Zentrum, auch wenn es sich insbesondere aus der Kunst- und Architekturgeschichte des Mittleren Ostens bedient, um seine Science-Fiction-Welt erlebbar zu machen. Für die Vermittlung von Geschichte im Unterricht ist es vielmehr durch seine Thematik und Spielmechaniken relevant.

Heaven’s Vault stellt die Arbeit der Historikerin ins Zentrum. Aliyah sucht Artefakte, datiert sie mit Hilfe ihres robotischen Begleiters und diskutiert dabei die Kriterien, die es ihr erlauben, eine Zeitlinie der historischen Ereignisse zu erstellen. Wichtigster Aspekt ist dabei die Schrift, die die Spielenden mit der Zeit lernen zu entziffern. Zunächst kennt Aliyah nur einige Wörter, andere muss man sich aus dem Kontext erschließen; mit der Zeit schälen sich die Bedeutungen der einzelnen Zeichen heraus, so dass die Spielende selbst beginnt, die Schrift zu erlernen und auf Grundlage der einzelnen Elemente zu entziffern. So eröffnet das Spiel den Spielenden die hermeneutische Methode des Quellenstudiums und der Datierung mittels einer simplifizierten Darstellung, die sie zum Puzzle macht, das gelöst werden will (und kann). Auch von fachlicher Seite wurde begeistert auf die Darstellung archäologischer Arbeit im Spiel reagiert; diese sei „erstaunlich realistisch“, so die Archäologin Catherine Hill in einem Blog-Beitrag zum Spiel. Im Gegensatz zu Abenteurern wie Lara Croft oder Indiana Jones seien die Spielenden hier nicht einfach auf der Jagd nach „wertvollen“ Objekten, sondern studierten diese Objekte, um etwas über die Geschichte der Welt zu erfahren – während es zwar eine Geschichte um Aliya selbst gibt, ist die Geschichte der Welt das eigentliche narrative und spielerische Zentrum in Heaven’s Vault. Während die „Story“ als eine Art Choose-your-own-Adventure durchgespielt werden kann, erschließt sich die historische Geschichte der Welt durch die Unterhaltungen mit Nebenfiguren, in der genauen Erkundung der Umgebungen und der Übersetzung der Inschriften. So sticht Heaven’s Vault unter den History Games dadurch hervor, dass es in einem vollständig fiktiven Setting eine sehr realistische Darstellung der Arbeit von Historiker*innen und Archäolog*innen bietet.

Diskussionspunkte

Während das Spiel durchweg positiv aufgenommen wurde, und dabei auch das Setting als erfrischend wahrgenommen wurde, kann durchaus kritisiert werden, dass dieses Setting auch einen Anflug von Orientalismus, d. h. die Übernahme alter Stereotype über die Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens, nicht immer vermeidet. Zum Beispiel wird der Sklavenhandel als relativ unproblematischer Teil der Gesellschaft dargestellt; auch der zentrale Story-Konflikt zwischen Religion und historisch-wissenschaftlicher Arbeit ist in diesem Kontext potentiell problematisch.

Einsatzmöglichkeiten

Heaven’s Vault bietet einen willkommenen Kontrast zur Darstellung von Archäolog*innen als imperialistisch Sammelnde von „wertvollen“ Artefakten und Objekten. Gleichzeitig inszeniert es die historische und archäologische Arbeit als spannendes Puzzle, hinter dem eine bewusste Methode steckt, um eine Erschließung des Wissens über die Welt, in der „wir“ (in diesem Fall die Protagonistin Aliyah) leben, und eine Einordnung der Relevanz dieses Wissens zu ermöglichen. Der pädagogische Aspekt des Spiels besteht weniger in der Darstellung der Vergangenheit als in der Einübung einer Methode, diese Darstellung (und ihre Einschätzung) überhaupt erst zu ermöglichen.

Das Spiel kann selbst gespielt werden; besonders leistungsstarke Hardware ist dafür nicht nötig (allerdings raten die Entwickler zu einer dedizierten Grafikkarte). Zwar ist Heaven’s Vault nicht sehr lang, aber doch so umfangreich, dass eventuell nur Teile gespielt werden können. Insbesondere die Erkundung der Welt und ihrer Artefakte nimmt einige Zeit in Anspruch. Einschränkend für den Einsatz ist weiterhin, dass das Spiel aktuell nur in englischer Sprache vorlieget. Pädagogisch begleitet werden sollte es durch Einführungen in das Vorgehen von Historiker*innen und Diskussionen etwa über die Relevanz des erzeugten Wissens über unsere Vergangenheit, den Konflikt zwischen Geschichtswissenschaft und (nationalen, religiösen usw.) Mythen. Gegebenenfalls muss mit dem Szenario kulturell sensibel umgegangen werden.


Weiterführendes Material

Grimm, Matthias. 2021. Heaven’s Vault: eine neue Generation Adventure-Game, in: Gameswelt, 03.02.2021, (zul. einges. am 17.01.2022)

Hill, Catherine. 2020. Translating Truth: Heaven’s Vault and Its Message to Gamers, in: The Geek Anthropologist, 28.04.2020. (zul. einges. am 17.01.2022)

Reinhard, Andrew. 2019. Archaeology and Heaven’s Vault: an Interview with Jon Ingold, (zul. einges. am 17.01.2022)

Zitierempfehlung

Heinze, Robert. „Heaven’s Vault“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 15.12.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus gefördert.