Beholder 3
Beholder 3 konfrontiert die Spieler*innen mit einer Spielwelt voller Entscheidungsdilemmata: Gefangen zwischen dem Druck eines immer extremeren Überwachungsstaates und den Bedürfnissen der eigenen Familie müssen sie im Point & Click-Spiel das Spannungsgefüge zwischen Kollaboration mit dem Regime und eigenen Bedarfen aushandeln.
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
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In einem fiktiven Staat übernimmt der oder die Spieler*in die Rolle eines Familienvaters, der sowohl als Hausmeister eines Wohnblockes als auch als Mitarbeiter im Ministeriumsgebäude arbeitet. Er hat die Aufgaben erhalten, die darin lebenden und arbeitenden Personen zu beobachten, deren Interessen, Neigungen und Gewohnheiten zu erfassen und diese bei Gesetzeswidrigkeiten im Sinne eines Überwachungsstaates zu melden. Dabei stehen den Spielenden Kameras und Dietriche zur Verfügung, sodass Wohnungen und Büros betreten, beobachtet und durchsucht werden können. Zunächst werden vom Staat, später von einer machthungrigen Splittergruppe immer schwerer werdende Aufgaben gestellt, die auf unterschiedliche Arten gelöst werden können. Bestandteil dieser Aufgaben ist es unter anderem auch, die aktuellen, staatlichen Vorgaben entweder zu befolgen und aufrechtzuerhalten oder zu untergraben und durch Reformen abzuschaffen. Nebenbei gilt es für die Spielenden, die Nöte und Sorgen der eigenen Familie zu stillen, indem Rechnungen bezahlt und mitunter auch illegale Gegenstände besorgt werden müssen, immer unter den diversen Verordnungen und Vorgaben des Staates.
Erinnerungskulturelle Bedeutung
Beholder 3 versucht, Spionage, Überwachungsstaat und die involvierten Individuen auszudifferenzieren, indem die Spielenden die Perspektive eines unfreiwilligen Informanten übernehmen, staatliche Unterdrückung in der Rolle eines Kollaborateurs perspektivisch nachvollziehen und zu teils unmoralischen Entscheidungen gezwungen werden. Die Ausweitung der Überwachung auf eine politische Ebene und die Etablierung einer Kontergruppe innerhalb der Mitarbeiter*innen des Ministeriumsgebäude zeigen die Komplexität von radikal geführten Überwachungsstaaten und die daraus resultierenden tiefen Verstrickungen eines einzelnen Individuums auf. Das Spiel sieht sich in einer Kritikposition gegenüber einem Überwachungsstaat, der potenzielle Kollaborateur*innen durch Androhungen von Strafen zur Förderung staatlicher Interessen zwingt. Diese repressiven Methodiken sowie die Existenz von Splittergruppen und mitunter regimekritischen Zeitungsberichten zeigen ein Fehlschlagen eines Regimes auf, welches so indirekt kritisch hinterfragt wird. Das Ende des Spiels wird maßgeblich durch die Spielenden beeinflusst: So ist sowohl ein Weiterbestehen der aktuellen Regierungsform als auch eine Implementierung umfassender Reformen möglich.
Da das Spiel sich durch eine Datumsangabe auf die Zeit im Juni/Juli 1989 fokussiert, lässt sich ein eindeutiger Verweis zur ehemaligen DDR und der Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (StaSi) feststellen: Polizeiliche Kontrolle und Überwachung und rote Farbgebung erinnern an Elemente des Kommunismus. Die Profile zu Gewohnheiten und die Berichte zu Gesetzesverstößen, welche von den Spielenden über die NPCs angefertigt werden müssen, erinnern in sehr stark vereinfachter Form an StaSi-Akten.
Das Spiel zeigt sich als das bisher komplexeste in der Beholder-Reihe und löst das Schwarz-Weiß-Denken der Täter*in- und Opferrolle, wie es z. B. durch 1378 (km) vermittelt wird, auf.
Diskussionspunkte
Beholder 3 kann als Versuch verstanden werden, das komplexe Überwachungssystem, das sich in der DDR findet, reduziert über die Optik, den deutschen Namensgebungen und die Betonung diverser Reformen wiederzugeben. Bei der Reduktion gehen aber bestimmte Aspekte verloren: Eine Entwicklung von Beobachtung und Überwachung, wie wir sie historisch in der DDR sehr gut festmachen können, lässt sich im Spiel leider nicht wiederfinden, doch zeigt sich das Ausmaß der Überwachung durch ein Eindringen in die Privatsphäre unterschiedlicher Art und somit Verletzung von Menschenrechten sehr deutlich.
Das Spiel unterstreicht zudem bestimmte stereotypische Charaktere der DDR als Beispiel eines totalitären Überwachungsstaates, ohne sie jedoch spezifisch bzw. kritisch zu durchleuchten: Hierbei zeigen sich regimekritische und regimetreue Personen, sowie auch gleichgültige und passive Teilhaber*innen und Nutznießer*innen.
Das dystopische Setting zeigt sich in Beholder 3 auch atmosphärisch: Farblich und musikalisch kommt es sehr düster, monoton und bedrohlich daher, wodurch sich die Darstellung des Überwachungsstaates optisch . Zudem werden Themen wie Versorgung, Arbeitsbeschaffung, Wohnsituation etc. aus skeptischer bis negativer Perspektive angesprochen, indem sich verschiedene NPCs immer wieder negativ über ihre Lebenssituation äußern. Diese Themen benötigen differenziertere Analysen und Vergleiche mit entsprechenden totalitären Staatssystemen. Satirische Überhöhungen diverser Merkmale durch das grafische Setting verdeutlichen teilweise die Absurdität, verschleiern andererseits aber auch die Ernsthaftigkeit der historischen Hintergründe.
Einsatzmöglichkeiten
Beholder 3 ist vor allem durch seine neue Perspektive und sein neues Narrativ zu Spionage und Überwachung von pädagogisch hohem Wert. Der Hauptcharakter zeigt sich nämlich weder auf der Seite des Widerstands noch auf der Seite der Befürwortenden, sondern nimmt eine wechselnde Rolle dazwischen ein und kann durch seine Entscheidungen nicht nur das Schicksal einzelner NPCs, sondern auch das Ende des Spiels beeinflussen. Die Erfahrung eingeengter Handlungsspielräume, angesichts extrinsisch motivierter Aufträge und die Herausforderung, individuelle Bedürfnisse und Nöte zu stillen, stehen im Mittelpunkt. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit der spielerischen Umsetzung des zugrundeliegenden Genres der Dystopie, gerade im Vergleich mit klassischer Literatur, scheint lohnenswert.
Das Spiel lässt sich leicht durch Maus und/oder Tastatur bedienen. Es wird keine besonders leistungsstarke Hardware benötigt, wodurch ein leichter Einsatz für den Unterricht gegeben ist.
Um das volle Potential der Agency auszuschöpfen und immersiv die Entscheidungen des Hauptcharakters nachvollziehen zu können, müsste das Spiel durch die Lernenden selbst gespielt werden. Doch dies ist vollständig aufgrund des Zeitaufwandes im Unterricht nicht möglich. Ausschnitte zu zeigen oder das Spiel kapitelweise durchzuspielen, würde eine Implementierung in einem größeren Unterrichtskontext ermöglichen.
Weiterführendes Material
- Bundeszentrale für politische Bildung. Sommer 1989: Die große Flucht aus der DDR. Online: https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/293568/sommer-1989-die-grosse-flucht-aus-der-ddr/. Last accessed: 21. November 2023.
- Stobby Mandy. Lebenszufriedenheit in der DDR. Online: https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/504982/lebenszufriedenheit-in-der-ddr/. Last accessed: 21. November 2023.
- Kramer Anna-Lena. Beholder 3. Online: https://www.spielbar.de/spiele/150571/beholder-3. Last accessed: 21. November 2023.
Zitierempfehlung
Wieser, Andreas. „Beholder 3“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 14.03.2024 [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]