3×3 nachgefragt zu „Auswärtsspiel“ – Edition Planspiele
Mit dem Projekt “Auswärtsspiel”, gefördert durch das Auswärtige Amt, gehen wir als Stiftung Digitale Spielekultur den Fragen nach, welches Potenzial digitale Spiele für die Vermittlung von außenpolitischen Themenkomplexen haben und wie man Interessierte für (außen-)politische Bilder und Narrative in Games sensibilisieren kann. Unsere Diskussionen resultierten bereits in einem Leitfragenkatalog sowie der Fachkonferenz „Gaming und Außenpolitik“.
Das Genre der Planspiele setzt sich explizit zum Ziel, mithilfe von – zunehmend digitalen – Spielsystemen (außen-)politische Zusammenhänge und Strukturen vermittelbar zu gestalten. Solche Formate sind somit unmittelbar an der Schnittstelle von Games-Kulturen und Außenpolitik verortet. Wie gestaltet sich also das Vermittlungspotenzial von (digitalen) Planspiel-Formaten für Themen und Praktiken der Außenpolitik? Dazu haben wir
- Andreas Muckenfuß, Gründer und Geschäftsführer von CRISP e.V.,
- Heidi Ness und Frank Burgdörfer, Geschäftsführer*innen von polyspektiv, sowie
- Björn Warkalla, Co-Gründer und Co-Geschäftsführer von planpolitik,
drei Fragen gestellt.
Frage 1: In einem Satz resümiert: Welches Hauptanliegen verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit bei CRISP e.V., polyspektiv und planpolitik?
Andreas Muckenfuß: Bei CRISP nutzen wir (digitale) spielerische Methoden, damit Menschen in Konfliktregionen auf friedliche gesellschaftliche Veränderungsprozesse einwirken können; im Spiel werden Handlungsoptionen und deren Wirksamkeit erprobt und Risiken analysiert – anschließend werden die getesteten friedensichernden Maßnahmen von unseren lokalen Partner:innen umgesetzt.
Heidi Ness & Frank Burgdörfer: Wir möchten verschiedene Perspektiven auf die Welt, auf politische Probleme und auf deren Lösungen artikulierbar und erlebbar machen, weil wir die Fähigkeit hierzu als zentrale Voraussetzung einer freien und demokratischen Gesellschaft sehen.
Björn Warkalla: Gute Ideen entstehen, wenn Menschen aktiv eingebunden sind und sich miteinander austauschen können. Sie lernen nachhaltiger, wenn sie dabei Spaß haben und ihren Weg zur Erkenntnis selbst gestalten können. Deswegen sind Interaktion und Empowerment die Grundprinzipien unserer Arbeit in der politischen Bildung – bei der Entwicklung von Planspielen und Serious Games genauso wie bei der Durchführung von Workshops und Trainings.
Frage 2: Welches ist das größte Potenzial von (digitalen) Planspielen für außenpolitische Themen und Fragestellungen? Für welche außenpolitischen Themen eigenen sie sich in Ihren Augen besonders gut?
Andres Muckenfuß: Zunächst vielleicht eine kurze Erklärung: Planspiele sind eine interaktive Lernmethode, in der ein komplexes Problem, zum Beispiel ein Konflikt, vereinfacht und fiktiv dargestellt wird. Dabei schlüpfen die Teilnehmenden in Rollen von Schlüsselakteuren und versuchen nachhaltige Lösungen zu entwickeln und im Planspiel zu testen. Im Anschluss an das Planspiel, während der Auswertungsphase, werden von den Planspielergebnissen Rückschlüsse auf die Realität gezogen.
Nach 15 Jahren in der zivilen Konfliktbearbeitung bin ich von dem enormen Potenzial spielerischer Methoden überzeugt worden. Spiele sind besonders gut geeignet, um verschiedene Zielgruppen zu adressieren, auch in ganz unterschiedlichen Regionen. Unsere Planspiele werden in Ägypten und Jemen genauso gern gespielt wie in Kirgisistan, auf den Philippinen oder in Chile. Wir arbeiten mit Diplomaten, Führungspersonal und Fachkräften ebenso zusammen wie mit Pädagog:innen, Studierenden und Schüler:innen. Die Freude am Spiel, am Ausprobieren, am Perspektivwechsel sind umfassend und weltumspannend.
Das konkrete Potenzial unserer Planspiele besteht darin mit aktuellen außenpolitischen Themen experimentieren und so konkrete und wirkungsvolle Handlungsansätze entwickeln zu können. Dabei ist das spielerische Element von essenzieller Bedeutung. Zum einen, weil die Auswirkungen der Spielaktionen lediglich fiktiv sind und die Teilnehmenden ihr eigenes kreatives Potenzial so besser freisetzen können. Dadurch fördern wir das Denken „out-of-the-box“ und die Entwicklung alternativer Lösungsansätze, die die Diskussionen zu außenpolitischen Themen bereichern. Zum anderen, weil unsere Planspiele es den Teilnehmenden ermöglichen ihre Ideen und Visionen zu friedensfördernden Maßnahmen auch auf der Alltagstauglichkeit zu testen. Dann dienen unsere Planspiele als politische Laboratorien in denen die Wirksamkeit, die Risiken und die nicht intendierten Effekte von Maßnahmen erfahrbar gemacht werden. Dies führt zu einer wirksameren und nachhaltigeren Planung und Umsetzung.
Eines der Hauptthemen bei CRISP ist natürlich Friedensförderung und die Förderung einer gewaltfreien Konfliktbearbeitung. Wir arbeiten hier bspw. mit der Simulation realer Konfliktsituationen als auch mit semi-fiktiven Szenarien, die Konfliktdynamiken nachbilden. Im Bereich Friedensaufbau arbeiten wir schon lange daran gemeinsam mit unseren Partner:innen, die Perspektiven von Frauen in Friedensprozessen und Verhandlungen stärker einzubringen. Planspiele können hilfreich sein, um zu vermitteln, dass eine aktive Teilnahme von Frauen für einen nachhaltigen Friedensprozess ausschlaggebend ist.
Ein weiteres Thema, ist Umwelt- und Klimapolitik. Hier nutzen wir Planspiele bspw., um Szenarien des Klimawandels deutlich zu machen, oder simulieren diplomatische Verhandlungen über Ressourcenmanagement.
Zudem ist Migration und Flucht ein Thema, dass seit unserer Gründung im Vordergrund steht. Hier gibt es sehr komplexe Zusammenhänge, die sich unseren Zielgruppen sehr gut mit Planspielen vermitteln lassen.
Heidi Ness & Frank Burgdörfer: Planspiele geben die Möglichkeit, über eine Rolle eine subjektive Perspektive einzunehmen und zugleich ein gesamtes politisches System zu erleben. Auf diese Weise kommen Blickwinkel und Anliegen einer einzelnen Person mit dem umfassenden Verständnis für ein politisches System zusammen. Zudem bieten Planspiele die Möglichkeit, drei zentrale Lernebenen politischer Bildung simultan anzusprechen:
- Neues Faktenwissen zu erlangen, z.B. über außenpolitische Entscheidungsprozesse, bestimmte Staaten und Institutionen, unterschiedliche Positionen in der Außenpolitik;
- Eine persönliche Haltung auszubilden, Werte zu verinnerlichen und soziale Kompetenzen zu stärken wie z.B. Ambiguitätstoleranz und Empathie, Empathie, Pluralismus, Ambiguitätstoleranz, Bereitschaft zur konstruktiven Lösungssuche und die Übernahme von Verantwortung;
- Praktische Kompetenzen zu erwerben: z.B. Informationen sammeln, vor einer Gruppe sprechen, Verhandlungen führen, Kompromisse suchen.
In jedem Politikfeld sind unterschiedliche Perspektiven wichtig. Gerade in der Außenpolitik haben wir aber besonders selten die Chance, die unterschiedliche Interessenlage, Prägungen und Werte der verschiedenen Akteur:innen wirklich kennenzulernen und die immer sehr komplexen Situationen zu analysieren. Daher sind Planspiele hier besonders interessant. Neben internationaler Politik ist dabei für uns auch das Thema Europäische Union sehr wichtig, weil die Komplexität der Strukturen und Akteure für viele Menschen schwer zu verstehen ist. Indem bspw. eine Teilnehmerin erlebt, wie sie als Kommissarin für ihren Vorschlag werben und auf Argumente und Interessen in Parlament und Ministerrat eingehen muss, vermitteln sich die Aufgaben unterschiedlichen Organe der EU.
Besonders gut eignet sich die Planspielmethode für das Greifbarmachen von Prozessen, die eine größere Zahl von Beteiligten, stringente Abläufe und ein klares Regelsystem haben: also Institutionen wie EU, UN etc. Auch binationale Treffen wie bspw. den Deutsch-Französische Ministerrat lassen sich gut darstellen. Schwieriger ist es, informelle Prozesse erlebbar zu machen, bei denen das meiste außerhalb offizieller Termine und Treffen und damit „ungeregelt“ geschieht. Ein Beispiel für ein Planspiel, das wir in diesem Zusammenhang geschrieben haben, ist das zur Kooperation im Donauraum zwischen nicht nur politischen, sondern auch unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren.
Die Themen in Planspielen zur Außenpolitik können sehr unterschiedlich sein. Wir würden kein Thema grundsätzlich ausschließen. Wichtig ist, dass es konkret ist, kontrovers diskutiert wird und idealerweise beispielhaft für ein größeres Problem steht. Gerade wenn wir die Zielgruppe nicht gut einschätzen können, vermeiden wir möglichst Themen, die zu populistischen Äußerungen reizen – schließlich wollen wir im Planspiel selbst nur im absoluten Notfall als Spielleitung von außen eingreifen und auf falsche oder irreführende Aussagen hinweisen. Letztlich hängt es aber von der Zielgruppe und dem Zeitrahmen ab, welche Themen sich am besten eignen.
Björn Warkalla: Mit Planspielen lassen sich alle Themen gut abbilden, bei denen es mehrere Perspektiven und unterschiedliche Interessen gibt und wo agiert und verhandelt wird – also eigentlich alle politischen und gesellschaftlichen Themen, vom Kleinen bis ins ganz Große. Ein paar Beispiele: Verhandlungen im Außenministerium über die Leitlinien feministischer Außenpolitik; EU-Ratsgipfel über neue Sanktionen gegen Russland oder den Beitritt neuer Mitglieder, Friedensverhandlungen in einem Bürgerkrieg, Simulation von Klimaschutzmaßnahmen auf internationaler Ebene, usw.
Die Teilnehmenden übernehmen für die Zeit des Spiels eine Rolle und deren Perspektive auf den Konflikt. Sehr häufig bekommen wir in der anschließenden Auswertungsdiskussion von den Spielenden die Rückmeldung, dass sie jetzt verstehen, wie komplex (Außen-)Politik ist, und dass es meist keine einfachen Lösungen gibt. Digitale Planspiele haben darüber hinaus den großen Vorteil, dass sie näher an der Lebenswelt vor allem jüngerer Menschen sind, und dass sich im Vergleich zu analogen Planspielen zusätzliche Funktionen wie Abstimmungen, interaktive Karten und Live-Updates damit realisieren lassen.
Frage 3: Im Rahmen des Projekts „Auswärtsspiel“ hat ein interdisziplinäres Expert*innen-Gremium einen Katalog entwickelt, der 10 Leitfragen an die Schnittstelle von Games und Außenpolitik richtet. Welche dieser Fragen sind in Ihren Augen besonders relevant für (digitale) Planspiele – und warum?
Andreas Muckenfuß: Für die Entwicklung und Durchführung von Planspielen ist z.B. immer die Frage relevant, welche außenpolitischen Motive und Narrative wir in unseren Spielen aufgreifen (Leitfrage 3). Gerade bei der Entwicklung und Reflexion von Planspielen ist es wichtig darauf zu achten, dass keine zu vereinfachenden oder stereotypen Darstellungen von Außenpolitik und Akteuren reproduziert werden. Deswegen arbeiten wir in sehr diversen Teams und immer in enger Kooperation mit unseren langjährigen, lokalen Partner:innen.
Das Gleiche gilt für die Frage, woher die ästhetischen Elemente des Spiels kommen und welche Gefühlswelten damit transportiert werden (Leitfrage 5). Diese können auch stereotype Darstellungen oder verzerrte Erzählungen über Kulturen oder Länder reproduzieren oder ein verzerrtes oder unvollständiges Bild der realen Außenpolitik vermitteln. Bei unseren Planspielen steht der Do No Harm Ansatz immer im Vordergrund.
Dennoch ist eine bleibende Herausforderung der Methode, inwieweit auch reale, diskriminierende Strukturen abgebildet werden sollten. Wenn wir dies machen, dann mit dem Ziel neue Handlungsoptionen zu entwickeln, die auch der Realität standhalten können. Das kommunizieren wir dann aber immer schon vor den Durchführungen an die Teilnehmenden und widmen dem während der Auswertungsphase besondere Aufmerksamkeit.
Heidi Ness & Frank Burgdörfer:
Leitfrage 3: Welche außenpolitischen Motive und Narrative greift das Spiel auf?
Jedes Planspiel schafft ein Modell der Wirklichkeit. In diesem Sinn setzt es ein bestimmtes Narrativ voraus, das Fragen nach menschlicher Motivation und Steuerung einschließt und bestimmte politische Entscheidungssysteme abbildet, die auch kritisiert werden können. Wichtig ist dabei, dass
- im Planspiel gespielte Machtsysteme und -ungleichgewichte zwischen Staaten und Menschen nicht nur erlebt, sondern im Anschluss an das Planspiel kritisch reflektiert werden können.
- bei der Darstellung von Rollen keine stereotypen Beschreibungen genutzt werden. Wir vermeiden bei unseren Rollen in aller Regel persönliche Zuschreibungen, stellen nur Interessenlage und Handlungsoptionen der verschiedenen Akteure dar.
Leitfrage 4: Bietet das Spiel in seiner regelbasierten Darstellung kollaborative, konfrontative und/oder multiperspektivische Elemente?
Das Erleben konfrontativer und kollaborativer Elemente sowie unterschiedlicher Perspektiven und Handlungsoptionen ist Grundanliegen jedes Planspiels. Aus ihm werden praktische Fähigkeiten und Empathie im Allgemeinen sowie für außenpolitische Zusammenhänge im Besonderen entwickelt.
Leitfrage 7: Nach welchen ethischen Prinzipien funktioniert das Spiel?
Bei unseren Planspielen werden Entscheidungen über „Erfolg“ oder „Misserfolg“ nie durch eine äußere Steuerung getroffen. Auch die Spielleitung bewertet nicht das Agieren der Teilnehmenden. Sie sollen sich als verantwortlich erleben und keiner Willkür ausgesetzt sein. Wichtig ist deshalb im Anschluss an das Planspiel eine Reflexion, bei der die Teilnehmenden analysieren, was sie warum getan haben, wer sich warum als erfolgreich oder nicht erfolgreich empfindet, was in der Realität wahrscheinlich wie im Spiel oder anders verlaufen wären und welche Konsequenzen aus dem Ergebnis in der Realität entstehen könnten. Das Planspiel erlaubt das Ausprobieren. Brüche funktionieren so lange, wie die Grundlogik des Planspiels anerkannt wird: alle spielen eine Rolle in einem fiktiven Szenario. Wird dieser Rahmen verlassen, kann das Planspiel nicht mehr funktionieren, weil es von der Fiktion lebt.
Leitfrage 9: Spiegeln die Belohnungs- oder Sanktionssysteme der Spielmechanik Grundstrukturen der Außenpolitik wieder?
Da unsere Planspiele in der Regel die genannten Institutionen und deren Regeln simulieren, spiegeln sie auch deren Belohnungs- und Sanktionssysteme wider. Sanktionen kommen bei unserem Planspiel daher auch immer von den Teilnehmenden in ihren Rollen durch gemeinsame Entscheidungen innerhalb der gespielten Institutionen, niemals von außen. Material zur weiterführenden Beschäftigung geben wir manchmal. Häufiger geben wir Fragen und Hinweise auf betroffene aktuelle Themen mit. In jedem Fall aber gibt es nach dem Planspiel eine Auswertung (s.o.)
Leitfrage 10: Bildet das Spiel selbst Gegenstand außenpolitischer Diskurse?
Ja, immer. Darum geht es im Planspiel. Außenpolitik ist hier nicht nur Nebeneffekt oder Bedingung, sondern das eigentliche Thema des Planspiels. Das im Planspiel Erlebte motiviert Diskurse über die Realitäten der Außenpolitik und die eigene Sicht auf Interessen und Werte (im Vergleich zu denen der Rollen im Planspiel) im Anschluss an das Planspiel – in der gemeinsamen Reflexion und auch darüber hinaus im Alltag.
Björn Warkalla: Der Leitfragenkatalog passt sehr gut zur Entwicklung von (digitalen) Planspielen. Er liest sich wie eine Checkliste, die wir bewusst oder unbewusst im Kopf haben könnten, wenn wir ein neues Planspiel entwickeln. Dabei sind einige der Fragen besonders in der Entwicklung des Spielszenarios relevant, also bei der Konzeption der Ausgangsituation, der im Spiel angelegten Konfliktlinien, sowie der vertretenen Akteur*innen und ihrer Handlungsoptionen.
Andere Fragen, wie die zu Werten, ethischen Prinzipien oder auch den außenpolitischen Diskursen, die über das Spiel angestoßen werden, sind in der Regel Teil der Auswertungsdiskussion. Diese folgt bei allen Planspielen auf die Spielphase, wenn die Spielenden ihre Rollen wieder verlassen haben. Dies ist wahrscheinlich auch der deutlichste Unterschied solcher Serious Games im Vergleich zu anderen Games, die in erster Linie Entertainment-Charakter haben und im Normalfall ohne didaktische Einrahmung gespielt werden.