Monotone Arbeiten mit Elan erledigen, spielerisch überflüssige Pfunde verlieren und täglich voller Motivation die Umwelt schützen! Das und mehr soll Gamification, also die Einbindung spielerischer Elemente in sonst spielferne Kontexte, leisten. Doch inwiefern kann das Konzept diesen Ansprüchen gerecht werden? Und wo liegen die Grenzen?
Vor- und Nachteile der Gamification
Bereits seit den 50ern werden Möglichkeiten erprobt, Kunden zu binden und Mitarbeiter zu motivieren. Methoden zur Herstellung gewünschten Verhaltens wurden zudem bereits im Behaviorismus Anfang des 20. Jahrhunderts erforscht. Dabei nutzt Gamification zwei Grundbedingungen menschlicher Lebenswirklichkeit: Die Neigung zum Spielen und zu sozialer Interaktion. Beides kann externe Motivation schaffen, wo es an intrinsischer mangelt. Fortschrittsanzeigen in Form von Erfahrungsbalken können das Gefühl sinnvollen Wirkens auf ein definiertes Ziel hin vermitteln. Ranglisten zwischen Mitarbeitern und Kunden spornen zum Wettbewerb an. Gamification kann alltägliche, routinierte oder ermüdende Tätigkeiten in motivierende und spannende Herausforderungen verwandeln und positive Impulse auf soziale Interaktion haben. Die von Firmen genutzte Plattform WeSpire spornt Mitarbeiter zu nachhaltigem Verhalten an, Siemens nutzte jahrelang erfolgreich Plantville um Manager von Industrieanlagen zu trainieren und der Spezialist und Hidden Champion im Filterbau Mann und Hummel nutzt gamifizierte Prozesse zur Produktentwicklung.
Kritische Stimmen bezeichnen Gamification als inszenierten Marketing-Hype, um alte Rezepte unter neuem Etikett zu verkaufen. Die Versprechen der Gamification, anonymisierte, gleichförmige Tätigkeiten der modernen arbeitsteiligen Welt und Alltagspflichten in spannende Abenteuer zu transformieren, könnten nicht eingelöst werden.
Neben den genannten Potentialen der Gamification gilt es daher, auch Risiken und Schwächen zu diskutieren.
Gamification zielt in aller Regel darauf ab, externe Momente der Motivation einzubauen, wo intrinsische Motivation in keinem ausreichenden Maße vorhanden oder entwickelbar ist. Zwischen beiden besteht aber ein wechselseitiges Trade-off-Verhältnis, d.h. ein extensiver Einsatz von Techniken der externen Motivation kann jeden inneren Antrieb, sich einer Tätigkeit zu widmen, beseitigen. Externe Motivation kann zudem zwar gewünschtes Verhalten erzeugen, aber kein genuines Interesse am Kontext der Tätigkeit. Das heißt, die gesteigerte Leistung wird nicht durch Sinnstiftung erzeugt, sondern um die Mikro-Herausforderungen der Gamification zu bestehen.
Beiträge zur Wissensvermittlung
Richtig angewandt, kann Gamification komplementär-unterstützend zu klassischen Formen der Wissensvermittlung einen Beitrag zur Vermittlung von Schulstoffen, der Sensibilisierung für bestimmte Themenkomplexe und zur Motivation leisten. Insbesondere junge Menschen erleben digitale Spiele als ihr Leitmedium. Gamifizierungstechniken entsprechen daher ihrer Erfahrung von Medienkonsum, Lebenswirklichkeit und Reflexion.
Erprobte und bewährte Methoden der Schuldidaktik können aber nicht ersetzt werden. Studien weisen auf bestimmte Limitierungen des Ansatzes hin. So können Gamification-Mechaniken nur funktionieren (im Sinne einer erwünschten Verhaltensänderung), wenn beim Anwender grundsätzliches Interesse am Content bzw. am Ziel des Spieles besteht.
Die korrekte Rezeption der Lerninhalte stellt eine weitere Herausforderung dar. Erwartungshaltung und Übersetzungskompetenz der Spielenden können zu hoch individuellen Lernerfahrungen führen, dass bedeutet, dass feste Lernziele nicht immer garantiert erreicht werden können. Gamifizierte Wissensvermittlung erfordert daher ggf., insbesondere bei komplexen Themen, eine individuelle Beeinflussung der Erwartungshaltung durch pädagogische Betreuung, Überprüfung der Übersetzungskompetenz auf Defizite und Unterschiede der Lernenden (didaktische Rahmung) und eine Nachbesprechung (De-Briefing).
Spannende Beispiele zur Implementierung von gamifizierten Mechaniken im Unterricht sind Classcraft und Quest to learn. Insbesondere Classcraft übersetzt den Lehrprozess in ein Rollenspiel, belohnt kooperatives Verhalten und motiviert zur Mitarbeit durch narrative Einbindung aller Schulaufgaben ins Spiel und ein faires Punktesystem.
Spielerisch ernste Themen bewältigen
Dass ernste Angelegenheiten verspielt bearbeitet werden können, beweisen Beispiele wie „missiofor life“, „Papers, Please“ und letztlich „Foldit“. Die Herausforderung liegt in der adäquaten Verzahnung von Spiel und Lerninhalt, bzw. Lernziel. Kinder durchschauen pädagogische Intention schnell, wenn die spielerischen Elemente aufgesetzt wirken und mit dem Lernanteil nicht korrespondieren.
Die wirkungsvollsten Ergebnisse bei „ernsten“ Themen wie bspw. Altersvorsorge sieht man bei positiven Ansätzen, also solchen, die auf Alarmismus und Gefährdungsrhetorik verzichten. Die größte Hürde hierbei stellt sicherlich die Ferne der Thematik zur Lebenswirklichkeit von jungen Menschen dar und die Werbung für eine Mentalität, die den teilweisen Verzicht auf Jetzt-Nutzen (= Kosten der Altersvorsorge) mit dem fernen Nutzen eines gesicherten Alters würdigt.
Die Zukunft der Gamification
Eine ganze Generation junger Menschen reift heran, für die digitale Spiele ein wesentlicher Faktor des Medienkonsums, der Freizeitgestaltung, des gemeinsamen Erlebens und der Wirklichkeitserfahrung darstellt. Wir erleben bei digitalen Spielen zudem bereits erste Formen der Kulturtradierung zwischen zwei Generationen, d.h. die heutige Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen, die Pioniergeneration des digitalen Spielens, gibt ihre Erfahrungen, Vorlieben und Geschichten des Mediums an ihre Kinder weiter. Für diese Generationen stellen spielerische Mechaniken eine Alltagserfahrung im Medienkonsum dar und es ist denkbar, dass sie auch bei sonst spielefernen Kontexten verspielte Elemente erwarten wird und diesen aufgeschlossen gegenübersteht.
Dennoch wird es immer Bereiche geben, die sich nicht für Gamifizierung eignen: Das ist immer dann der Fall, wenn durch Gamifizierung das eigentliche Lernziel verdeckt wird und nur noch der spielerische Erfolg im Vordergrund steht. Strom lässt sich durch Gamifizierung zwar sparen, ein Lerneffekt wird aber oft durch den falschen Anreiz ausgehebelt. Genauso problematisch ist es, wenn nicht-gamifizierte Bereiche unter gamifizierten leiden. Ähnlich wie bei Nebenwirkungen von Medikamenten wird das eigentliche Symptom behandelt, die Medizin verursacht aber gleichzeitig neue Symptome. Auch in Bereichen, die erhöhte Aufmerksamkeit erfordern wie Gefahrenzonen, scheint Gamifizierung eher fehl am Platze.
Die Einsatzmöglichkeiten der Gamification stehen noch am Anfang ihrer Erprobung. Sicherlich wird es in diesem Prozess auch grandiose Fehlschläge geben. An eine Phase ausgeprägter Experimente und intensiven Testens wird sich eine Phase der Konsolidierung anschließen. Letztlich wird die Welt aber verspielter sein als heute und wahrscheinlich in Bereichen, an die jetzt noch niemand denkt.