Ashley Riot oder der problematische Blick auf den Körper des Helden

Autor*in
Andreas Weidlich
Ursprünglich veröffentlicht am
09.10.2017

Zur Funktionalisierung hyperviriler Männlichkeit in Squares Vagrant Story

Anstatt die berühmt-berüchtigte Narratologie/Ludologie-Debatte und ihre oft verkürzenden Definitionsversuche des Videospiels zu reaktivieren, folgt dieser Aufsatz einem theoretischen Rahmen, der Videospiele als komplexe Textkonstruktionen auffasst: Statt über das vermeintlich ‚essentielle’ Wesen von Spielen zu streiten, erscheinen diese griffiger beschreibbar als Form einer konfiguralen Praxis. Die strukturelle Verkopplung seiner Vorgängermedien erzeugt – im Sinne Martin Feiges – eine eigenständige ästhetische Leistung, die sich nicht a priori festlegen, sondern erst durch interpretatorische Akte würdigen lässt.

Anhand des 2000 von Square veröffentlichten Playstation-Titels Vagrant Story soll detailliert nachvollzogen werden, wie digitale Spiele als visuell dargebotene, ergodische Hypertexte ihre medialen Subsysteme auf originelle, oft überraschende Weise neu zu konfigurieren vermögen. Im Fall von Vagrant Story ergibt sich der Reiz des Spiels aus der Art und Weise, mit der sich der Protagonist des Spiels – Ashley Riot – visuell in Szene gesetzt findet. Präziser formuliert etabliert der Titel ein Kontrastverhältnis zwischen dem männlichen, starken und letztlich unbesiegbaren Körper des Avatars A. Riot auf der Ebene des Ludus sowie dem verletzbaren, explizit mit weiblichen Attributen ausgestatteten Körper des Charakters Ashley R.s auf der Ebene der auserzählten Handlung. Der Körper der Figur findet sich im Schnittpunkt heterogener Funktionsbereiche wieder: Er verbindet Spieler*innen mit dem System des Computerspiels; er weist den Rezipient*innen verschiedene Rollen als Zuschauer*in und Spieler*in zu; er stellt ein Medium für Sinnzuschreibungen bereit.

Da der problematische Leib des Helden in seinen hypervirilen und weiblichen Eigenschaften darüber hinaus eng angebunden erscheint an dessen Sichtbarwerdung innerhalb zweier verschiedener Bildformate – dem filmischen Bewegtbild sowie dem interaktiven Simulationsbild – erweist sich die Art, in der der virtuelle Körper performativ vorgeführt wird, gleichzeitig als Träger einer medialen Differenz. Die Leistung Vagrant Stories, so versuche ich argumentativ darzulegen, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass der Titel über die Abbildung eines ambivalenten männlichen Körpers seine eigene Medialität zu reflektieren in der Lage ist; wobei die originelle Pointe darin begründet liegt, dass – so ist sich Vagrant Story sicher – die Erzählung relevanter für die Sinnhaftigkeit des Texts erscheint als das ludische Spiel.

Bild: Vagrant Story, Square 2000.


Andreas Weidlich studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Leipzig und arbeitete nach dem Studium als Lehrer und Privatdozent. 2015 zog er nach Irland und arbeitet dort an der Nui Galway an seiner Doktorarbeit zum Motiv des Weltuntergangs in digitalen Spielen. Sein besonderes Interesse gilt dabei den Verschränkungen zwischen der audio-visuellen Präsentation, Game Play sowie der Narrativität des Videospiels.