Forschung

Ästhetik und narrative Relevanz weiblicher Spielfiguren

© Ninja Theory. Hellblade - Senua's Sacrifice, 2017

Die „Gender in Games & Gaming“ Debatte, die nicht nur innerhalb der Spieleindustrie in den jüngsten Jahren sehr aktiv und konstruktiv entwickelt wurde, ist m.E. nicht mehr ganz neu, sondern geht mindestens 20 Jahre zurück. Spätestens seit Ende der 90er Jahre wurden verschiedene Aspekte der Debatte der Games-Industrie kritisch analysiert und reflektiert. Aspekte wie Konsumverhalten oder Genrepräferenzen der Spieler*innen, Diversität innerhalb der Games-Unternehmen oder auch Fragen nach der Stereotypisierung des Angebots wurden ebenso untersucht wie z.B. Randphänomene wie Homosexualität oder Queerness in digitalen Spielen.

Im Fokus dieser Debatten standen dabei bislang primär die ästhetische Darstellung bzw. Stereotypisierung von Frauen bzw. weiblichen Spielfiguren sowie ihre narrative und ludologische Relevanz.

Dabei ist die Tatsache, dass seit einigen Jahren die Hälfte aller Gamer weiblich ist, mittlerweile durch zahlreiche Statistiken und Publikationen in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Computer- und Videospiele sind längst keine „Boys Toys“ mehr. Laut Branchenverband BIU spielen rund 34 Millionen Deutsche digitale Spiele, davon rund 29 Millionen regelmäßig. Das Durchschnittsalter der Nutzer*innen digitaler Spiele beträgt 34,5 Jahre, Tendenz steigend. Rund die Hälfte (47%) der Spieler*innen ist weiblich – im Jahr 2015 spielten also in Deutschland rund 16 Millionen Frauen digitale Spiele.

Der vorliegende Beitrag möchte sich auf den Aspekt der Darstellung von Frauen innerhalb von digitalen Games beschränken und dabei einige relevante Arbeiten bzw. Untersuchungen und deren Ergebnisse im Hinblick auf die weibliche Stereotypisierung in digitalen Spielen aufzeigen.

Laut der Frankfurter Kulturwissenschaftlerin Birgit Richard sind Frauen innerhalb von Computer- und Videospielen zunächst ähnlich wie die Protagonistinnen in Comics, Büchern und Filmen als mediale Gestalten zu analysieren, was insofern relevant ist, als die Diskussion um die Ästhetik und Handlungskompetenz der weiblichen Charaktere bereits weit vor digitalen Games bestand.

„Die Computerspiel-Heldinnen stehen in der Bildtradition der Actionheldinnen aus Comic, Film und Fernsehen. Allen Heldinnen gemeinsam ist der Status einer Kunstfigur, bei der verschiedene, durchaus ambivalente Ideale und Projektionen in fiktionaler Synthese verschmelzen.“   (Richard 2004: 23)

Dabei ist im Hinblick auf die interaktive bzw. immersive Gestaltung und Wirkung von digitalen Spielen vor allem die Frage relevant, wie die stereotype Darstellung von Frauen sowie die ihnen zugeschriebenen Rollen- und Handlungsmuster innerhalb der Spiele auf die weiblichen und männlichen Spieler*innen wirken und ob so bestehende Vorstellungen, Normen oder Werte beeinflusst werden können.

Der Medienwissenschaftler Christoph Klimmt konstatiert der Spieleindustrie allerdings eine wenig selbstkritische Perspektive:

„Entsprechend verweisen die inhaltsanalytischen Befunde speziell zur Geschlechterdarstellung in Computerspielen auf den erheblichen Nachholbedarf der Spieleindustrie bei ihrer Selbstreflexion; die gesellschaftliche Tragweite und die symbolische Signalwirkung ihrer Inhaltsdarstellungen scheinen der Industrie bis- lang deutlich weniger wichtig zu sein als Spitzentechnologie und größtmöglicher Spielspaß der jeweiligen Zielgruppe.“

Der Kommunikationswissenschaftler Jeffrey Wimmer weist darauf hin, dass die Wirkung von Medien, wie z.B. digitalen Spielen, immer im Hinblick auf den spezifischen Kontext verstanden werden muss.[4] Dieser Kontext hat sich im Hinblick auf die ästhetische Darstellung in den letzten Jahren sehr in Richtung Freizügigkeit liberalisiert, so dass wenig bekleidete, hoch stilisierte und sexuell konnotierte weibliche Spielfiguren in zeitgenössischen digitalen Spielen auch positivistisch als Spiegel der Gesellschaft betrachtet werden könnten.

„Spiele sind für viele eine emotionale Angelegenheit und viel mehr als „nur“ Zeitvertreib. Das ist auch der Grund, warum im Fall von Konflikten die Wogen so hochgehen: Es fällt schwer, rational zu sein, wenn man sich persönlich angegriffen fühlt.“ (Rainer Sigl, 2015)

Die Darstellung von Frauen in Games

Verallgemeinert kann zunächst festgestellt werden, dass die Darstellung von Frauen in Computer- und Videogames von jeher als eher stereotyp beschrieben werden konnte; sei es aus ästhetischer Perspektive (also im Sinne des Game Design) oder im Hinblick auf die zugeschriebenen Handlungs- und Bedeutungsmuster (also im Sinne des Storytelling).

Bereits 1998 konstatierten Justine Cassell und Henry Jenkins, beide namhafte Computerspielforscher, im Hinblick auf die ästhetische und narrative Darstellung weiblicher Computerspielfiguren:

“Video games provide a prime example of the social construction of gender. Women rarely appear in them, except as damsels requiring rescue, or rewards for successful completion of the mission. Most feminist analysis of gender and video games to date has been concerned with the proliferation of violent, aggressive, gory, and often overtly misogynistic images within the video game marketplace.”

Ebenfalls 1998 erhob Tracy Dietz erstmals umfassend empirische Daten zur Darstellung von Frauen in Computer- und Videospielen, sie untersuchte Spiele im Hinblick auf die Darstellung bzw. Repräsentanz von weiblichen Charakteren und Spielfiguren. Die komplette Abwesenheit weiblicher Charaktere war das wichtigste Ergebnis dieser ersten empirischen Validierung – 30% der untersuchten Spiele enthielten keine weiblichen Spielfiguren. Wo sie jedoch vorhanden waren, dann zumeist in Opfer- oder Nebenrollen, z.B. als zu rettende Prinzessin. Die Ergebnisse dieser Studie sind bis heute im akademischen Diskurs gern zitierter Ausgangspunkt bei der Auseinandersetzung mit „Gender in Games und Gaming“, weshalb sie auch in diesem Beitrag erwähnt werden soll. “This analysis reveals that traditional gender roles and violence are central to many games in the sample.”

“Gecius fand heraus, dass die weiblichen Figuren in den Computer- und Videospielen eindeutig unterrepräsentiert sind. […] Frauen sind also eher in den passiven, nicht-steuerbaren Nebenrollen wiederzufinden, wogegen die Männer meist die aktiven, steuerbaren Hauptrollen innehaben …“.  

Laut Gecius erscheinen Frauen vor allem als „die clevere Frau“, „die martialische Kämpferin“, als „das freche Mädchen“ oder „die moderne Prinzessin“. Jenseits der Tatsache, dass mehr männliche als weibliche Figuren in den Spielen vorhanden waren, wurde auch aufgezeigt, dass Frauen meist spärlicher bekleidet sind als Männer, dass sie meist jünger sind als Männer, Frauen meist attraktiver als Männer dargestellt wurden, dass Frauen mit den schlechteren Waffen und den weniger angesehenen Berufen ausgestattet waren und dass Männer weniger oft Hilfe brauchen als die Frauen.  „Somit erfüllen die meistern der Frauen keinen praktischen Zweck, haben eigentlich keine Funktion, ganz im Gegensatz zu den männlichen Figuren, die oft sehr viel aktiver sind und das Spielgeschehen vorantreiben. (Gecius 1997: 92)“

Die Frankfurter Kulturwissenschaftlerin Birgit Richard untersuchte in „Sheroes“ (2004) ebenfalls Computer- und Videospiele hinsichtlich des Gender-Aspektes bzw. der Darstellung von weiblichen Protagonistinnen. Richard stellt fest:

„[…] dass in den seltensten Fällen eine quantitative Gleichwertigkeit der Geschlechter zur Wahl steht, sondern die Vorgaben hinsichtlich der Relevanz und Strategie der Figuren innerhalb des Spiels sehr prägend sind. Der freischwingende Gender-Shift wäre demnach bereits im Vorhinein in seiner Bandbreite und der Wichtigkeit von weiblichen Figuren eingeschränkt, obwohl prinzipiell die Erfahrung des virtuellen Geschlechtertausches möglich ist.“   

Und auch Hella Grapenthin konnte in ihrer Analyse von 8 Computer- und Videospielen (2008) aufzeigen, dass Frauen zwar mittlerweile häufiger in Haupt- und Nebenrollen auftauchen, sich jedoch die stereotype Darstellung nur wenig verändert hat, es sind lediglich neue Stereotype hinzugekommen. „Immer noch herrscht eine Hierarchie, in der die Frauen den Männern untergeordnet sind. Ob nun im Hinblick auf das Alter, das Aussehen, die Kleidung oder die Fähigkeiten, die männlichen Figuren werden insgesamt lebensnaher, vorteilhafter und positiver wiedergegeben als die weiblichen und bieten mehr Identifikationsmöglichkeiten als diese.“ (Grapenthin in Bevc & Zapf. 2009: 183)

Burgess, Stermer, Burgess untersuchten 2007 anhand von 225 Covern von Computer- und Videospielen die Frage, wie Männer und Frauen bzw. männliche und weibliche Charaktere auf den Covern dargestellt werden. Das zentrale Ergebnis:

“Male characters were almost four times more frequently portrayed than female characters and were given significantly more game relevant action. However, in spite of their less frequent appearance, female characters were more likely to be portrayed with exaggerated, and often objectified, sexiness. Further, violence and sexiness was paired more frequently for female characters than violence and muscular physiques for the male characters.”

Im Hinblick auf die geschlechtsspezifische Darstellung konstatieren sie zudem, dass stereotype Darstellung für beide Geschlechter auszumachen sei – weibliche Charaktere würden mit übergroßen Oberweiten und Männer mit “Supermuskeln” dargestellt, dennoch überwiege im Hinblick auf Frauen die Betonung der sexuellen Attraktivität im Vergleich zu den Männern und ihrer Stärke.

Laut Melanie Krause, die 2010 zu weiblichen Konsumgewohnheiten promoviert hat, können sich Frauen (bislang) mit den angebotenen Spielefiguren nicht positiv identifizieren: „Die hilflose Opferrolle (entführte Prinzessin) oder das provokative Sexsymbol (z.B. Lara Croft) treten deutlich häufiger auf als starke weibliche Spielecharaktere mit annähernd durchschnittlichen Körperformen und vollständiger Bekleidung.“

Frauen würden – im Vergleich zu Männern – weniger bzw. sogar negatives Identifikationspotential mit den digitalen Helden haben: „Spielecharaktere, wie z.B. Lara Croft, können z.T. eine bedeutende Rolle für den Spielspass einnehmen, indem sie z.B. Potenzial für parasoziale Interaktion und Identifikation bieten (Grodal, 2000; Hartmann, Klimmt & Vorderer, 2001). … Weibliche Spieler dagegen finden bei bestimmten weiblichen Spielfiguren, die z.B. stark sexualisiert dargestellt sind, teilweise nur geringes bzw. sogar negatives Identifikationspotenzial (Hartmann & Kimmt, 2006a).“

Die bislang zitierten Studien sind jedoch allesamt etwas „betagt“ und umfassen insofern auch bestimmte Aspekte wie Mobile Gaming, Social & Casual Games oder auch Indie vs. AAA Games wenig bis gar nicht und insofern scheint die Frage nach aktuellerem Material naheliegend.

Im Jahre 2010 veröffentlichte das nordamerikanische Marktforschungsunternehmen „Electronic Entertainment Design and Research“ (EEDAR) eine Studie, nach der 51% aller „Next Gen“ Spiele weibliche Charaktere beinhalten würden. Diese, zumindest für eine Schlagzeile wunderbare geeigneten, Zahlen sind jedoch nur eine Seite der sprichwörtlichen Medaille. Die andere ist, dass es zum einen mehr Plattformen als die „Next Gen“ Plattformen gibt und zum anderen die rein quantitative Repräsentanz von Frauen in diesen Spielen nichts über ihre ästhetische Darstellung bzw. über ihre Handlungsrelevanz innerhalb der Spiele verrät.

Die bislang dargestellten Aspekte können überblicksartig zusammengefasst werden: Frauen bzw. weibliche Spielfiguren werden in (zeitgenössischen) digitalen Spielen:

  • generell quantitativ stark unterrepräsentiert;
  • zumeist jünger und deutlich attraktiver dargestellt als männliche;
  • zumeist physisch über-stilisiert bzw. stereotypisiert;
  • zumeist sexuell stilisiert dargestellt (spärlich bekleidet, Geschlechtsorgane 
unrealistisch etc.);
  • meist schlechter ausgestattet (Kompetenzen/„Skills“; Dokumente, Werk
zeuge, Waffen; Berufe; sozialer Status etc.);
  • selten als Helden bzw. Hauptfiguren integriert (diese sind zumeist männlich);
  • zumeist in Nebenrollen bzw. Opferrollen repräsentiert.

Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich bereits seit mehr als 20 Jahren mit „Sheroes“ in digitalen Spielen auseinandergesetzt wird, dass es zahlreiche analytische und einige (in ihrer Methodik sehr unterschiedliche) empirische Arbeiten im Hinblick auf die ästhetische Darstellung von weiblichen Figuren und Helden in digitalen Spielen gibt, dass der Diskurs aber in jüngster Vergangenheit und nicht zuletzt dank #GamerGate wieder an Aktualität und Brisanz gewonnen hat.

Schlussbetrachtung

Sämtliche empirische Arbeiten kommen also zu ähnlichen Ergebnissen: Frauen sind zumeist stereotyp und häufig sexuell stilisiert dargestellt, weibliche Spielfiguren sind selten oder primär in Opfer- und Nebenrollen handlungsrelevant. Positive Beispiele für heldenhaft dargestellte Frauen lassen sich eher erst in jüngster Vergangenheit aufzeigen, wenn auch mit (leicht) zunehmender Tendenz. Dennoch scheint es eine Entwicklung in der ästhetischen und narrativen Darstellung von weiblichen Spielfiguren in zeitgenössischen digitalen Spielen zu geben und m.E. ist es wichtig, diesem Tatbestand mit Hilfe neuer empirischer Untersuchungen näher auf den Grund zu gehen. Primär, um den „Gender in Games & Gaming“ Diskurs auf einen neuen Status quo zu bringen, insbesondere aber auch, um Aspekte wie Trans- und Homosexualität oder Queerness stärker zu repräsentieren und so auch den zeitgenössischen Games besser gerecht zu werden.

Insgesamt bleibt an dieser Stelle zu konstatieren, dass das Medium digitales Spiel sich offensichtlich wesentlich schneller entwickelt, als die äquivalente wissenschaftliche Disziplin, die „Game Studies“ bzw. die darin beheimatete empirische Analyse der Ästhetik der Spielfiguren. Wünschenswert wäre, hier auch aktuellere Studien benennen zu können, die u. a. auf Darstellungsunterschiede in Indie Games vs. sogenannten AAA-Produkten eingehen oder eine repräsentative Erhebung, die z. B. einen prozentualen Anteil weiblicher Spielefiguren an allen Veröffentlichungen eines Jahres quantifiziert.

Literatur:

Tobias Bevc, Holger Zapf (Hg). 2009. Wie wir spielen, was wir werden: Computerspiele in unserer Gesellschaft. UVK Verlag.
Burgess, Stermer, Burgess. 2007. Sex, Lies and Video Games: The Portrayal of Male and Female Characters on Video Game Covers. Im Internet: http://www.researchgate.net/publication/226396946_Sex_Lies_and_Video_Games_The_Portrayal_of_Male_and_Female_Characters_on_Video_Game_Covers
[September 2014].
Jo Bryce & Jason Rutter. 2002. Killing Like a Girl: Gendered Gaming and Girl Gamers’ Visibility. Im Internet: http://www.cric.ac.uk/cric/staff/Jason_Rutter/papers/cgdc.pdf  [Mai 2014].
Jo Bryce & Jason Rutter (Hg.).2006. Understanding Digital Games. London. SAGE.
Sven Jöckel. 2009. Spielend erfolgreich. Der Erfolg digitaler Spiele im Spannungsfeld ökonomischer, technologischer und nutzungsbezogener Aspekte. VS Verlag.
Judith Butler. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. 16.Auflage 2012. Edition Suhrkamp.
Justine Cassell, Henry Jenkins (Hg.). 1998. From Barbie to Mortal Kombat: Gender and Computer Games. MIT Press .
Tray Dietz. 1998. An Examination of Violence and Gender Role Portrayals in Video Games: Implications for Gender Socialization and Aggressive Behavior. Im Internet: http://videogames.procon.org/sourcefiles/an-examination-of-violence-and-gender-role-portrayals-in-video-games.pdf
Sabine Hahn. 2017. Gender und Gaming. Frauen im Fokus der Games Industrie. Transcript Verlag
Kafai, Heeter, Denner, Sun (Eds) 2008. Beyond Barbie and Mortal Kombat: New Perspectives on Gender and Gaming. University Press Group Ltd.
Melanie Krause. 2010. Weibliche Nutzer von Computerspielen: Differenzierte Betrachtung und Erklärung der Motive und Verhaltensweisen weiblicher Nutzer von Computerspielen. VS Verlag.
Birgit Richard. 2004. Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum. Transcript Verlag. Schweiger, Wolfgang & Fahr, Andreas (Hg.). 2013. Handbuch Medienwirkungsforschung. VS Verlag