WARSAW RISING: Stadt der Helden

In dem Rogue-like WARSAW RISING: Stadt der Helden übernehmen Spieler*innen die Rolle der Armia Krajowa (Abkürzung AK, dt. Polnische Heimatarmee) ein. Das Spiel umfasst den historischen Zeitraum des 63 Tage andauernden Warschauer Aufstandes vom 1. August bis zum 2. Oktober 1944. Die zu erfüllenden Aufgaben basieren zwar grundsätzlich auf unterschiedlichen historischen Ereignissen, wie die Erbeutung von zwei Panzerkampfwagen V Panther der 19. Panzer-Division. Allerdings bestehen die Missionen letztlich immer daraus, mit einer Gruppe von Aufständischen in rundenbasierten Gefechten gegen deutsche Besatzungstruppen anzutreten und möglichst siegreich daraus hervorzugehen.

Die Vorgängerversion des Spiels namens WARSAW, die sich signifikant von der aktuellen Fassung unterscheidet, wurde durch WARSAW RISING: Stadt der Helden ersetzt, das durch das nicht unumstrittene Instytut Pamięci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken) vertrieben wird. Der Datenbankeintrag zur nicht mehr verfügbaren Vorgängerversion befindet sie hier: Datenbankeintrag WARSAW

Allgemeine Infos

  • Entwickler: Pixelated Milk, Retrovibe (Polen)
  • Publisher: Instytut Pamięci Narodowej
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Genre: Role-Playing (RPG), Strategy
  • Thema: Holocaust, Nationalsozialistische Herrschaft, Widerstand, Zweiter Weltkrieg
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Kostenlos
  • Vermittlungspotenzial Mittel
  • Zeitaufwand Mittel
  • Komplexität Gering
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

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Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Hannes Burkhardt

Hannes Burkhardt, Dr. phil., Studienrat und Educational Engineer am Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik der Europa-Universität Flensburg (EUF) als Mitarbeiter des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) im Rahmen des Landesprogramms „Zukunft Schule im digitalen Zeitalter“.

Spielende nehmen in WARSAW RISING: Stadt der Helden die Perspektive der Armia Krajowa (Abkürzung AK, dt. Polnische Heimatarmee) ein. Das Spiel umfasst den historischen Zeitraum des 63 Tage andauernden Warschauer Aufstandes vom 1. August bis zum 2. Oktober 1944. Das Rogue-like (zentrales Merkmal ist der Permadeath genannte, nicht umkehrbare, endgültige Tod der Figuren) beginnt am ersten Tag des Aufstandes, indem die Spielenden in der Rolle eines Kommandeurs eine Gruppe von zunächst drei Aufständischen befehligen müssen. Im Verlauf des Spiels gilt es, eine Reihe von Missionen mit weiteren Charakteren zu bewältigen. Die hier zu erfüllenden Aufgaben basieren zwar grundsätzlich auf unterschiedlichen historischen Ereignissen, wie die Erbeutung von zwei Panzerkampfwagen V Panther der 19. Panzer-Division. Allerdings bestehen die Missionen letztlich immer daraus, mit einer Gruppe von Aufständischen in rundenbasierten Gefechten gegen deutsche Besatzungstruppen anzutreten und möglichst siegreich daraus hervorzugehen. Dies bedeutet stets, alle Charaktere der gegnerischen Gruppe zu töten. Ressourcenmanagement, die Auswahl der passenden Charaktere für die Missionen und deren Fähigkeiten und Waffen sind für den Erfolg letztlich unabhängig vom konkreten (historischen) Missionsziel nur hinsichtlich der militärischen Schlagkraft der eigenen Gruppe entscheidend. 

Die Vorgängerversion des Spiels namens WARSAW, die sich signifikant von der aktuellen Fassung unterscheidet, ist mittlerweile nicht mehr auf dem Markt. Der Datenbankeintrag zur Vorgängerversion befindet sie hier: 

WARSAW

Thema: Holocaust, Nationalsozialistische Herrschaft, Widerstand, Zweiter Weltkrieg
Erscheinungsjahr: 2019

Video-Kurzreview

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Erinnerungskulturelle Bedeutung

Das polnische Instytut Pamięci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken) vertreibt die hier vorliegende, überarbeitete Fassung des Spiels und hatte das Game erstmals im August 2023 auf der gamescom in Köln vorgestellt (Instytut Pamięci Narodowej 2023). Seit einer Gesetzesanpassung im Jahr 2018 ist das Institut für die Einhaltung der Regelungen zu Äußerungen über die Besatzungszeit während des 2. Weltkrieges zuständig. Es drohen bis zu 3 Jahre Haft, wenn Pol*innen „faktenwidrig die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen“ unterstellt wird, „die durch das Dritte Deutsche Reich begangen wurden“ (Gesetz über das Institut für nationales Gedenken). Kritiker*innen sehen in diesem Gesetz die Gefahr, dass die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung von „Kollaboration zahlreicher Polen“ (Lasser 2018) behindert werden könnte. 

In Polen ist die nationale Deutungshoheit über die Erinnerung an den Warschauer Aufstand hochgradig politisch aufgeladen und verläuft entlang der Grenzen zwischen den politischen Lagern: Die politische Rechte deutet den Aufstand als Akt polnischen Heldentums, während linke Politiker*innen stärker die hohen Opferzahlen und den Verlust des kulturellen Erbes betonen (Stobiecka 2024, S. 222). Das 2004 eröffnete Muzeum Powstania Warszawskiego (Museum des Warschauer Aufstandes) hätte als fachliche Instanz diese geschichtspolitische Debatte moderieren können, wird dieser Rolle jedoch keineswegs gerecht (ebd.). Denn die Ausstellung des Museums ist vollkommen in „einem eindimensionalen, heroisierenden und stereotypen Geschichtsbild verhaftet“ (Heinemann 2014). Wie bereits der Titel von WARSAW RISING: Stadt der Helden vermuten lässt, ist auch das Spiel diesem Narrativ verpflichtet, welches hier im Vergleich zu anderen populären Darstellungen der polnischen Erinnerungskultur wie den Spielfilmen Kanał (1956) oder Miasto 44 (2014) noch weiter zugespitzt wird. 

Diskussionspunkte

Während das Spiel in seiner früheren, mittlerweile depublizierten Fassung „eher zur nationalistischen Version polnischer Erinnerungskultur“ (Heinze 2021) neigte, kann man in Bezug auf die hier vorliegende, aktualisierte Fassung nicht mehr nur von einer Tendenz sprechen. Kritische Perspektiven auf die Entscheidung der Armia Krajowa diesen „nach militärischen Gesichtspunkten mehr als zweifelhaften Kampf in einer Stadt mit mehreren hunderttausend Einwohnern aufzunehmen“ (Borodziej 2001, S. 112), sind mit WARSAW RISING kaum möglich. Vielmehr stellen die teils sehr emotionale Inszenierung eines heldenhaften Märtyrertums und die Verengung auf Gewalt als einziges Mittel des Widerstands die alles überstrahlenden Erzähl- und Handlungsmuster dar. Dabei wird der Entschluss für den Aufstand in der polnischen Erinnerungskultur kontrovers diskutiert (Artwinska 2019). Dem engen Blick von WARSAW RISING auf das historische Ereignis steht also durchaus ein pluralistischer und kontroverse gesellschaftlicher Erinnerungsprozess gegenüber, in dem sich nicht zuletzt in Teilen auch „Veteranen des Aufstandes“ gegen dessen politische Vereinnahmung wehren und sich von der „Vermischung von Politik und einer rechtskonservativen, sehr heroisierenden, unkritischen Wiedergabe der Ereignisse“ (Nörenberg o. J.) distanzieren. 

Einsatzmöglichkeiten

Die spielerische und narrative Verengung von WARSAW RISING auf einen im Game als alternativlos erscheinenden gewaltsamen Widerstand birgt dennoch eine Reihe didaktischer Chancen. Zum einen ist die im Spiel angebotene Geschichtsdeutung für Lernende (ab 16 Jahren) leicht erkenn- und auch aus der Spielmechanik heraus erklärbar. Zum anderen kann die Personifizierung als das dominante Prinzip der Geschichtserzählung im Sinne einer stereotypisierenden Zuspitzung gut in Lernprozessen herausgearbeitet werden. Der im Vergleich zur Vorgängerversion deutlich reduzierte Schwierigkeitsgrad hilft dabei. Die Dekonstruktion von WARSAW RISING als geschichtskulturelles Produkt sollte im Kontext politischer Rahmenbedingungen erfolgen, wie die Regierung der nationalistischen PiS (20152021 Alleinregierung) oder die Intentionen des Instytut Pamięci Narodowej in der Doppelrolle als Publisher des Spiels sowie als zentrale Umsetzungsinstanz des „Gesetzes über das Institut für nationales Gedenken“. Die Erinnerungsgeschichte zum Aufstand (lesenswerte Kurzzusammenfassung für Lernende bei Nörenberg o. J.) kann ebenso in den Lernprozess integriert werden wie die Entwicklung des Spiels im Vergleich zur Vorgängerversion (Heinze 2021) oder Positionen in der gegenwärtigen (polnischen) Erinnerungskultur als Teil von gesellschaftlichen Debatten. Dies gilt insbesondere für die teils kritische Haltung ehemaliger, am Aufstand Beteiligter zur politischen Vereinnahmung der historischen Ereignisse; nicht zuletzt da den kämpfenden Aufständischen bei WARSAW RISING eine so zentrale Rolle zukommt. Lernchancen ergeben sich bei WARSAW RISING also weniger, wenn man das Game als Medium zur Rekonstruktion von Geschichte einsetzt, sondern es als Produkt gegenwärtiger Geschichtskultur dekonstruiert. Denn die geschichtspolitisch aufgeladenen Narrative und Diskurse werden im Game in einer radikalen Zuspitzung medienspezifisch transformiert und narrativ transportiert, die sich gut für die Analyse und Beurteilung mit Lernenden (ab 16 Jahren) eignen.


Weiterführendes Material

Artwinska, Anna: „Der Warschauer Aufstand ist ein sehr umstrittenes Ereignis“. URL: https://idw-online.de/de/news719844 vom 26. Juli 2019, zuletzt aufgerufen am 21. April 2024. 

Barelkowski, Matthias / Kleßmann, Christoph: Die Wahrnehmung des Warschauer Aufstands in den deutschen Öffentlichkeiten. In: Bömelburg, Hans-Jürgen / Król, Eugeniusz C. / Thomae, Michael (Hrsg.): Der Warschauer Aufstand 1944. Ereignis und Wahrnehmung in Polen und Deutschland. Paderborn 2011. S. 243–267. 

Borodziej, Włodzimierz: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt am Main 2004. 

Etschmann, Wolfgang: Der Warschauer Aufstand 1944. Strategische und operative Aspekte. In: Reichl-Ham, Claudia / Nöbauer, Irmgard (Hrsg.): Von Söldnerheeren zu UN-Truppen. Symposium 5. November 2010. Wien 2011. 

Heinemann, Monika: Museum des Warschauer Aufstandes. In:  zeitgeschichte | online vom 1. Juli 2014: URL: https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/das-museum-des-warschauer-aufstands, zuletzt aufgerufen am 21. April 2024. 

Heinze, Robert. „Warsaw“. Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 24.06.2021. URL: https://www.stiftung-digitale-spielekultur.de/spiele-erinnerungskultur/warsaw/, zuletzt aufgerufen am 09. Juli 2024. 

Instytut Pamięci Narodowej: The premiere of the version of the „Warsaw Rising. City of Heroes“ game in Cologne; 23-27 August 2023. URL: https://ipn.gov.pl/en/news/10728,The-premiere-of-the-version-of-the-quotWarsaw-Rising-City-of-Heroesquot-game-in-.html vom 25. August 2023, zuletzt aufgerufen am 23.Mai 2024.  

Lesser, Gabriele: Warschau verbietet, Polen als Nazi-Kollaborateure zu bezeichnen. Der Srandart vom 28. Januar 2018. URL: https://www.derstandard.de/story/2000073176439/polens-regierung-verbietet-polen-als-mittaeter-zu-nennen vom 28. Januar 2018, zuletzt aufgerufen am 21. April 2024. 

Nörenberg, Agata: „Aufopferungsvoll und heldenhaft gekämpft“. URL: https://www.exc16.uni-konstanz.de/noerenberg-warschauer-aufstand.html zuletzt aufgerufen am 21. April 2024. 

Stobiecka, Monika: The conservative modernisation on the example of the Polish “digital museum boom”. In: Bozoglu, Gönül / Campbell, Gary / Smith, Laurajane / Whitehead, Christopher (Hrsg.): The Routledge international handbook of heritage and politics. Abingdon, Oxon, New York, NY 2024. S. 215–233. 

Zitierempfehlung

Burkhardt, Hannes: „WARSAW RISING: Stadt der Helden“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur 09.07.2024[URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum] 

Förderer

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts "Let's Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort" in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.