The Saboteur
Als irischer Mechaniker Sean treten die Spieler*innen im Third-Person Adventure-Spiel The Saboteur im historischen Setting des Spiels der Résistance-Bewegung in Paris bei und versuchen, durch geschickte (Stealth-)Angriffe auf die Besatzer, mehr und mehr Stadtteile vom nationalsozialistischen Regime zu befreien. Dabei bedient es u.a. neben dem Fokus auf bewaffneten Widerstand und das Motiv der Rache vor allem stereotype Erinnerungsnarrative.
Trailer
Erinnerungskulturelle Einordnung
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In The Saboteur übernehmen Spieler*innen die Rolle des irischen Mechanikers und Autorennfahrers Sean Devlin. Das Spiel beginnt 1940 im besetzten Paris in einem Burlesque Club. Motiviert durch die Ermordung eines engen Freundes kurz vor der Invasion der Wehrmacht und daraus entsprungenen Rachegelüsten, tritt der Protagonist dem Widerstand bei. Sein Ziel ist es, sich an Kurt Dierker, SS-Offizier und Mörder seines Freundes, zu rächen. Auf dem Weg dorthin müssen Spieler*innen in der Rolle von Sean Aufträge für unterschiedliche Zweige der Résistance erfüllen und dabei die Infrastruktur der Besatzungsmacht sabotieren oder wichtige fiktive Persönlichkeiten des Nationalsozialismus ermorden. Spieler*innen können sich auch abseits von Aufträgen frei in der Stadt bewegen und Gebäude des Unterdrückungsapparates sabotieren. Das Spiel bedient sich dabei an Spielprinzipien, die aus den populären Spieleserien Grand Theft Auto (GTA) und Assassin’s Creed bekannt sind.
Erinnerungskulturelle Bedeutung
The Saboteur bietet eine Darstellung gewalttätigen Widerstands, in einem durch das NS-Regime besetzten Gebiet abseits der Kriegsfront. Damit steht ausnahmsweise nicht der militärische, sondern der zivile Widerstand im Fokus der spielerischen Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg. Trotz der Verortung abseits der Gefechte an der Front bleibt The Saboteur der Tradition des männlichen Heldenepos treu, die in populärkulturellen Darstellungen des Zweiten Weltkrieg etabliert ist. Weibliche Charaktere werden dabei fast ausschließlich als Objekte der Begierde des Protagonisten dargestellt und überspitzt sexualisiert. Angesichts dieser männlichen Heldenfantasie tritt eine fundierte Einordnung historischer Ereignisse in den Hintergrund. Opfergruppen abseits der Widerstandskämpfer*innen werden bestenfalls angedeutet. Die Vernichtungspolitik des NS-Regimes findet keine Erwähnung.
Bemerkenswert erscheint die ästhetische Darstellung des besetzten Paris. Die Spielwelt erscheint zunächst, mit Ausnahme einzelner Farbelemente wie NS-Fahnen und Neonbeleuchtungen, in monochromer Farbgebung. Erst durch den bewaffneten Widerstand des Hauptcharakters erscheinen einzelne Gebiete in Farbe, wodurch das (Wieder-)Erwachen des französischen Widerstands visualisiert werden soll.
Diskussionspunkte
Auch wenn die Thematisierung zivilen Widerstands wichtig für eine breitere Auseinandersetzung mit der Thematik des Nationalsozialismus in digitalen Spielen ist, fällt die Auseinandersetzung damit bei The Saboteur ambivalent aus. Mit der auf bewaffneten Widerstand reduzierten Darstellung der Widerstandsbewegung Frankreichs wird ein in der Erinnerungskultur lange vorherrschendes Narrativ reproduziert und die Heterogenität der Résistance verkannt. Besonders betroffen ist dabei die Rolle der Frauen in der Résistance, die im Spiel, abseits von sexualisierter Objektifizierung, so gut wie gar nicht vorkommen. Das Spiel erschien bevor Sexismus in der Öffentlichkeit digitaler Spiele durch Debattenphänomene wie #GamerGate zu einem breit diskutierten Thema wurde. Es ist davon auszugehen, dass The Saboteur deutlich mehr Kritik für die sexualisierte Darstellung weiblicher Charaktere und die abwertenden Bemerkungen des Hauptcharakters erhalten hätte, wäre es in der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre veröffentlicht worden.
Des Weiteren reiht sich das Spiel in die Debatte um die Selbstzensur digitaler Spiele im deutschsprachigen Raum ein, wenn es um Nationalsozialismus und Holocaust geht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war The Saboteur nur eines von vielen Spielen, die Hakenkreuze auf der Fahne durch andere Symbole ersetzten.
Einsatzmöglichkeiten
The Saboteur bietet mit der verzerrten Repräsentation des besetzten Paris und französischer Widerstandsbewegungen die Möglichkeit, stereotype Erzählungen herauszuarbeiten und mit historischen Quellen (z. B. Zeitzeug*innenberichten) zu kontextualisieren. Durch die überspitzt plakative Darstellung einer männlichen Widerstandsfantasie lassen sich etablierte Narrative hervorheben und problematisieren. So auch die Rolle der Frau in der Überlieferung der Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Zusammenhang kann auch auf nicht thematisierte Aspekte, wie nicht gewalttätige Formen zivilen Widerstands, verwiesen werden.
Auch die Selbstzensur für den deutschsprachigen Markt in Hinblick auf verfassungswidrige Symbole kann anhand einer Gegenüberstellung der deutsch- und englischsprachigen Version diskutiert werden.
Vor allem die Altersbeschränkung erscheint für die Vermittlung hinderlich. Je nach Ziel der Vermittlung bietet es sich an, einzelne Missionen gemeinsam zu spielen und zu diskutieren. Dafür ist die Vorbereitung von vorab angelegten Speicherständen erforderlich. Die Hardwareanforderungen sollten dabei kein Problem darstellen. Gegebenenfalls kann auch auf Videoausschnitte zurückgegriffen werden.
Weiterführendes Material
- Dawitz, Bastian. Krieg bleibt immer gleich!? – Ein Plädoyer wider die Meistererzählung in Spielen zum 2. Weltkrieg. gespielt. Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (Blog). 4.6.2020.
- Pfister, Eugen. „Where the Line of Decency is Drawn.“ Imaginationen des Holocaust in Digitalen Spielen. Spiel-Kultur-Wissenschaft (Blog), 26.09.2018.
- Sarkeesian, Anita. „Women as Reward – Tropes vs Women in Video Games.“ Feminist Frequency. August 31, 2015, Video, 33:59.
- Zimmermann, Felix. Wider die Selbstzensur. Das Dritte Reich, nationalsozialistische Verbrechen und der Holocaust im Digitalen Spiel. gespielt. Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (Blog), 27.08.2017.
Zitierempfehlung
Kirchengast, Benjamin. „The Saboteur“. Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 24.6.2021 [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]