Spielecover: My Child Lebensborn

My Child: Lebensborn

In My Child Lebensborn kümmern sich die Spieler*innen als norwegische Zieheltern während der Nachkriegszeit um ein Kind aus dem Lebensborn-Programm. Dabei bilden physische und psychische Fürsorge, Aufarbeitung von Traumata wie auch das Erleben von Ausgrenzung in der Nachkriegsgesellschaft zentrale Themen des Spielgeschehens.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: Teknopilot (Norwegen)
  • Publisher: Teknopilot
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Genre: Role-Playing (RPG), Simulator
  • Thema: Nationalsozialistische Herrschaft, Zweiter Weltkrieg
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Englische Sprachversion
  • Vermittlungspotenzial Hoch
  • Zeitaufwand Mittel
  • Komplexität Gering
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

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Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Jan Heinemann

Jan Heinemann studierte Geschichte und Politikwissenschaft und beschäftigt sich mit Vergangenheitsinszenierungen in digitalen Spielen und analogen Konfliktsimulationen.

In My Child: Lebensborn übernimmt die Spieler*in die Erziehung und Pflege eines Adoptivkindes (Karl oder Karin) in der norwegischen Nachkriegsgesellschaft. Die Spieler*in muss das Kind ernähren, waschen, mit ihm spielen und lernen. Dabei kommt es darauf an, die Aktionen im zeitlich begrenzten Tagesablauf und anhand begrenzter finanzieller Mittel zu gewichten.

Im Fokus des Spiels steht jedoch das dialogische Narrativ der Traumabewältigung und Ausgrenzungserfahrung in der Nachkriegszeit. Als Kind einer norwegischen Mutter und eines deutschen Soldaten wird Karl/Karin in der Schule mit der Diskriminierung und Gewalt durch seine Mitschüler*innen und Lehrer*innen konfrontiert, die in dem*der Siebenjährigen ein „Nazi-Kind“ sehen. Die Spieler*in sorgt sich um das Wohlbefinden des Kindes (Nahrung, Körperpflege, Spaß) und versucht in insgesamt sechs Kapiteln Informationen über dessen Eltern zu erlangen und dem Grundschulkind, so gut es geht, eine unbeschwerte Zeit zu ermöglichen.

Video-Kurzreview

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Erinnerungskulturelle Bedeutung

Die Perspektive, mit der sich My Child: Lebensborn dem behandelten historischen Kontext widmet, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Als eines von wenigen Spielen beschäftigt es sich mit der Traumabewältigung in der europäischen Nachkriegszeit, anstatt der omnipräsenten Rezeption des Zweiten Weltkriegs als rein militärischer Auseinandersetzung, wie sie in digitalen Spielen noch immer vorherrscht. Während Attentat 1942 (2017) zwischen historischen Episoden und „Zeitzeug*innengesprächen“ hin- und her springt und My Memory of Us  (2018) die fantasierende Überschreibung von traumatischer Gewaltwahrnehmung während des Zweiten Weltkrieges einfängt, fokussiert My Child: Lebensborn erstmalig auf die traumatische Nachkriegserfahrung von Kindern, die in von den Nationalsozialisten besetzten Ländern im Sinne des Rassenwahns in „Lebensborn“-Heimen zu idealtypischen „Ariern“ erzogen werden sollten und nach dem Krieg häufig zur Adoption freigegeben wurden, aus der Sicht der Spieler*in-Figur des alleinerziehenden Adoptivelternteils. Durch Zeitungsartikel und Tagebucheinträge der Spieler*in-Figur erläutert das Spiel schrittweise die historischen Hintergründe und zeitgeschichtliche Ereignisse in Norwegen und Europa der 1950er-Jahre.

Diskussionspunkte

My Child: Lebensborn wurde sehr positiv von Kritiker*innen aufgenommen. Im April 2019 wurde das Spiel für einige Monate im Google Play-Store für Deutschland, Frankreich, Österreich und Russland gesperrt, ist mittlerweile jedoch wieder freigegeben.

Ähnlich wie in Through the Darkest of Times (2020) stehen Gameplay (Zeit- und Ressourcenmanagement) und Narration in einem Spannungsverhältnis. Doch auch wenn die Tagesabläufe und die Beschaffung von Lebensmitteln und kleinen Annehmlichkeiten im Spiel schnell repetitiv werden, bringen die immer wieder eingestreuten narrativen Elemente die Erzählung voran und regen zum Weiterspielen an.

Einsatzmöglichkeiten

Mit seinem ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Nachwirkungen in der Nachkriegszeit bietet sich My Child: Lebensborn für den Einsatz in pädagogischen Kontexten an. Da das Spiel für alle gängigen Plattformen zum geringen Preis verfügbar ist und keine nennenswerten Leistungsanforderungen hat und mit etwas über drei Stunden eine überschaubare Gesamtspielzeit aufweist, lässt es sich gut und flexibel einsetzen. Die Bedienung ist in der mobilen und der Desktopvariante intuitiv und bedarf keiner Vorkenntnisse. Das Spiel könnte daher sehr gut einzeln oder gemeinsam gespielt werden. Dabei ist ein unterrichtsbegleitender Einsatz denkbar, bei dem bestimmte Szenen und Entscheidungen im Unterricht diskutiert werden. Die Übersichten am jeweiligen Ende der sechs Kapitel zeigen außerdem an, wie sich andere Spieler*innen in bestimmten Situationen entschieden haben, und bieten damit Ansätze für rückblickende Diskussionen auf das bisherige Spielgeschehen. Die Erzählung des Spiels ist insgesamt zunehmend bedrückend und nimmt kein glückliches Ende. Die Spieler*in sieht sich vielmehr damit konfrontiert, mit Karl/Karin die Stadt aufgrund anhaltender Schikanen und Drangsalierungen letztlich verlassen zu müssen. Dies könnte mit fortschreitendem Spielverlauf eine intensivere Betreuung und Nachbereitung nötig machen.


Weiterführendes Material

Zitierempfehlung

Heinemann, Jan. „My Child: Lebensborn“. Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 24.06.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde finanziert durch Fördermittel der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).