Spielecover Curious Expedition

Curious Expedition

Curious Expedition versetzt die Spieler*innen in die Zeit der „großen Entdeckungen“ des 19. Jahrhunderts. Spieler*innen übernehmen die Rolle einer Expeditionsleiter*in in einem Wettlauf mit anderen Teams. Ziel des Adventures mit Strategie- und Rollenspiel-Elementen ist es, nach sechs erfolgreichen Expeditionen den größten „Ruhm“ zu erlangen.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: Maschinen-Mensch (Deutschland)
  • Publisher: Maschinen-Mensch
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Genre: Adventure, Role-Playing (RPG), Strategy
  • Thema: Kolonialismus, Wissenschaftsgeschichte
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Englische Sprachversion
  • Vermittlungspotenzial Gering
  • Zeitaufwand Mittel
  • Komplexität Gering
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Robert Heinze

Robert Heinze ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Trier. Er forscht und lehrt zur Zeitgeschichte Afrikas, insbesondere Mediengeschichte und Geschichte der informellen Ökonomie.

Curious Expedition versetzt die Spielenden in die Zeit der „großen Entdeckungen“ des 19. Jahrhunderts. Spieler*innen übernehmen die Rolle einer Expeditionsleiter*in in einem Wettlauf mit anderen (KI-geleiteten) Teams. Ziel des Spiels ist es, nach sechs (zufällig generierten) erfolgreichen Expeditionen den größten „Ruhm“ zu erlangen. Ruhm erhält der/die Spieler*in durch Erledigung aufgetragener Missionen, Erkundung von Ruinen und Rückkehr mit möglichst vielen Schätzen, die dann für Geld verkauft oder für Ruhm an das Britische Museum gegeben werden können. Die Expeditionen selbst finden jeweils auf einer in hexagonale Felder eingeteilten Landkarte statt, auf der Bewegung (je nach Feldart, z. B. Berg oder Wald) „geistige Gesundheit“ kostet. Auf bestimmten Feldern und in einheimischen Dörfern kann durch Übernachtung „geistige Gesundheit“ wieder aufgefüllt werden, wobei ein zu langer Aufenthalt in Dörfern zu Konflikten und Verlust des „Rufs“ bei lokalen Gesellschaften führt. Auf der spielmechanischen Ebene ist so ständig die Balance zu halten zwischen „geistiger Gesundheit“, dem „Ruf“ und den Entdeckungen, Stehlen von Artefakten, Kunstwerken und religiösen Gegenständen zur Vermehrung des Ruhmes. Spieler*innen agieren als „Entdecker*innen“, die das Spiel einerseits zu möglichst rücksichtslosem Handeln motiviert, andererseits mit den Konsequenzen dieses Handelns (in Form von z. B. ausgelösten Naturkatastrophen oder wütenden Indigenen) konfrontiert. Dabei greift das Spiel auf der narrativen Ebene viele Topoi der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts auf, von Jules Verne bis Arthur Conan Doyle, Rider Haggard oder Edward Burroughs. Gleichzeitig präsentiert es den Spieler*innenavatar als unzuverlässigen Erzähler, der die Ereignisse aus einer deutlich kolonialistisch geprägten Perspektive kommentiert.

Video-Kurzreview

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Erinnerungskulturelle Bedeutung

Curious Expedition ist weniger ein Versuch, sich an tatsächliche historische Ereignisse oder Prozesse anzunähern, als die satirisch überspitzte Auseinandersetzung mit einer bis heute popkulturell einflussreichen Literaturgattung, die allerdings gleichzeitig eng verbunden ist mit der historischen Epoche des Kolonialismus und den Diskursen, die sie hervorbrachte. Die kulturhistorische Diskussion solcher prägenden Topoi ermöglicht eine Reflektion über kulturelle Kontinuitäten des Kolonialismus in Deutschland und Europa, gerade auch über solche, die in populären Gamesreihen verbreitet sind.

Spielmechanisch orientiert sich Curious Expedition zunächst am Genre der Roguelikes. Narrativ spielt Curious Expedition dagegen satirisch auf etablierte Topoi von Reportagen, Reiseberichten, aber vor allem Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts an. Diese reichen weit in die Gegenwart hinein, da solche Topoi heute noch durch bekannte Filme (bspw. die Indiana Jones-Reihe), aber vor allem in Action Adventure-Games wie der Tomb Raider-, Far Cry– oder der Uncharted-Reihe popkulturell verbreitet und wirksam sind. Dabei überzeichnet das Spiel diese Topoi in satirischer Absicht und will den Spieler*innen so die Möglichkeit eröffnen, diese zu hinterfragen.

Curious Expedition sticht besonders durch seine narrativen Qualitäten hervor. Das Spiel kontrastiert die Narration des Spieler*innenavatars mit den Ereignissen auf der Karte, die aus den Handlungen der Spielenden resultieren. Dabei stellt die Narration Unkenntnis und Gleichgültigkeit über die tatsächliche Bedeutung bestimmter Gegenstände, über die Kommunikation mit indigenen Menschen oder die Problematik der eigenen Anwesenheit und Handlungen aus.

Diskussionspunkte

Die Entwickler des Spiels machen in Interviews und im Begleitmaterial deutlich, dass Curious Expedition in kritisch-satirischer Absicht koloniale Stereotype über nichteuropäische Gesellschaften, die Idee des „Entdeckens“ selbst und den Kulturkontakt zwischen europäischen und nichteuropäischen Gesellschaften überzeichnet, um sie bloßzustellen. Die Frage ist allerdings, inwieweit das gelingt. Mehrere Rezensent*innen bemerkten irritiert, das Spiel gehe unsensibel mit Themen wie Kolonialismus um und präsentiere problematische Stereotype. Der Bruch zwischen Narration und emergenten, durch Handlungen der Spielenden ausgelösten Ereignissen auf der Karte ist subtil und wirkte offensichtlich nicht bei allen Spielenden. Das Onlinemagazin Kill Screen dagegen bemerkte, Curious Expedition sei „ein verstörendes Portrait einer kolonialen Geisteshaltung“ und kontrastierte seine offene Ausstellung dieser Haltung positiv mit Spielen, die die Tropen der viktorianischen Abenteuerliteratur ungebrochen wiedergeben.

Es kann allerdings argumentiert werden, dass der Bruch nicht weit genug geht. Der von den Entwicklern selbst und dem Rezensenten von Kill Screen gezogene Vergleich zu Joseph Conrads zeitgenössischem Roman „Herz der Finsternis“, der die Brutalität der Kolonisatoren ausstellt und sich dazu ebenfalls eines unzuverlässigen Erzählers bedient, ist auch insofern passend, als Conrad berühmterweise der Vorwurf gemacht wurde, trotz dieser Kritik bediene er sich rassistischer Stereotype, um Afrikaner zu beschreiben. Ähnlich kann auch Curious Expedition der Vorwurf gemacht werden, die Perspektive der „Eingeborenen“ auszublenden, die sich den von der Spieler*in begangenen Taten (Raub, Plünderung, Zerstörung) ausgesetzt sehen und nur mit Aggression bei zu großem Verlust des „Rufs“ reagieren.

Einsatzmöglichkeiten

Curious Expedition besetzt einen Platz zwischen Geschichts- und Literaturunterricht. Zum einen kann mit seiner Hilfe die reale Praxis von Expeditionen im 19. Jahrhundert, ihre Absicht und Motivation (wissenschaftliche Erkenntnis oder Ruhm, Humboldt oder Stanley) hinterfragt werden, zum anderen legt das Spiel literarische Themen, Motive und Tropen offen, die in vielen Kulturprodukten (gerade auch in Games), die die Schüler*innen konsumieren, weit verbreitet sind. Allerdings kann diese Hinterfragung nicht dem Spiel selbst überlassen bleiben, sondern muss begleitend erarbeitet werden. Die Frage, ob das Spiel koloniale Darstellungen „fremder Welten“ und „abenteuerlicher Expeditionen“ satirisch kritisiert oder reproduziert, kann dabei durchaus ein Ausgangspunkt für eine Diskussion im Unterricht sein. Hilfreich wäre sicher auch eine Kontextualisierung mit Hilfe der Diskussion bestimmter „Entdecker“ (z. B. Humboldt vs. Stanley) oder mit den Quellen des Spiels, also der Abenteuerliteratur von Jules Verne bis Edgar Burroughs. Ein einzelner Spiedurchlauf ist kurz; um alle Ereignisse, Entdeckerpersönlichkeiten und Achievements aufzudecken, muss es allerdings öfter gespielt werden. Die Browserversion des Spiels wird vom Entwicklerstudio frei an Schulen und nichtkommerzielle Bildungseinrichtungen gegeben und hat keine speziellen technischen Anforderungen.

Eine einzelne Expedition kann innerhalb einer Schulstunde gespielt und diskutiert werden. Entsprechend mit Material (Quellen zu Expeditionen, kritisch aufgearbeitete Abenteuerliteratur) kontextualisiert, können von Curious Expedition ausgehend Themen wie Kolonialismus, eurozentrische Perspektiven, koloniale Wissenschaft, die Praxis der Expeditionen und ihr Erbe in Form der Abenteuerliteratur und darauf basierender Filme und Games diskutiert werden. Der Histroriker Jon Harney hat das Spiel im Unterricht (Grundstudium) eingesetzt und über seine Erfahrungen berichtet (s. Quellen).


Weiterführendes Material

  • Osterhammel, Jürgen. 32020. Die Verwandlung der Welt: eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München: C.H.Beck
  • Margini, Matt. n.d. The Curious Expedition is a Disturbing Portrait of the Colonial Mind, in: Kill Screen, online unter: https://killscreen.com/previously/articles/curious-expedition-disturbing-portrait-colonial-mind/ (zul. einges. am 06.06.2021)
  • Wendt, Reinhard. 2016. Vom Kolonialismus zur Globalisierung: Europa und die Welt seit 1500, Paderborn: Schöningh
  • „Let’s Talk Historygames“, Episode 3: Kolonialismus in Spielen, Bastian Dawitz,/Jan Heinemann, mit Riad Djemili, Robert Heinze, gesendet am 13.05.2019, online: https://youtu.be/58sTAEQQGjQ (zul. einges.06.06.2021)
  • „Let’s Play the Past: The Curious Expedition“, Jon Harney, 28.03.2017, online: https://youtu.be/QdRqfay4pDs (zul. einges. am 06.06.2021)

Zitierempfehlung

Heinze, Robert. „Curious Expedition“, Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 24.06.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde finanziert durch Fördermittel der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).