Forschung, Kultur

Digitale Spiele, Werte und Integration

© Luna Grüsgen für Stiftung Digitale Spielekultur
v.l.n.r.: Martin Lauterbach (BAMF), Çiğdem Uzunoğlu (Stiftung Digitale Spielekultur), Silja Gülicher-Dütsch (Nintendo) und Nikolas Kretzschmar (BAMF) auf der gamescom 2023.

Vor 20 Jahren, 2003, überstieg der weltweite Umsatz der Games-Branche erstmals den der Filmindustrie. So wie der Film sich als prägende Kunstform des 20. Jahrhunderts etabliert hat, dürften Video- und Computerspiele in Zukunft als prägend für Kunst und Kultur – und damit auch für Mentalitäten, Werte und Wertvorstellungen – des 21. Jahrhunderts angesehen werden.

Spielen ist eine grundlegende menschliche Aktivität. Die Entwicklung kognitiver und motorischer Fähigkeiten sowie sozialer Kompetenzen findet bei Kindern im Spiel statt. Spielen liegen Regeln zugrunde, seien es die von den Spielenden selbst entwickelten oder die einer Spielanleitung, die auf Verhalten in der Gemeinschaft übertragbar sind und im Spiel geübt werden. Auch das Aushalten von Frustration wie beispielsweise im Fall einer Niederlage ist ein essenzielles Merkmal des Spiels. Diese Merkmale kennzeichnen auch digitale Spiele.

Wie man Menschen mit Spielen ein Lächeln ins Gesicht zaubert, weiß man bei Nintendo seit 1889. Damals begann das Unternehmen in Kyoto mit der Herstellung von Hanafuda-Karten, die bei einem Kartenspiel zum Einsatz kommen, das dem europäischen Rommé ähnelt. Seit der Veröffentlichung des Donkey Kong-Arcade-Automaten 1981 gehört Nintendo zu den weltweit führenden Unternehmen der damals entstehenden Videospielbranche.

Der Mehrwert, den Videospiele von Anfang an geboten haben, besteht darin, Menschen unterhaltsam mit der digitalen Welt vertraut zu machen. Über diesen technischen Aspekt hinaus, vermitteln Videospiele mit ihren Inhalten unweigerlich auch Rollenbilder und Wertevorstellungen. Weit stärker als etwa in Brettspielen wie Schach, die eine Abstraktion der Realität darstellen, darf man in Videospielen alles sein, zum Teil sehr realitätsnah. Und gleichzeitig machte schon Donkey Kong, Nintendos erster großer Erfolg, klar: Auch unscheinbare, schnauzbärtige Handwerker können Helden sein. Ein wichtiger Paradigmenwechsel erfolgte ab Mitte der 2000er Jahre, als einige Spieleentwickler begannen, den Begriff des Mehrwerts stringent weiterzuentwickeln und das noch junge Medium inhaltlich zu öffnen. Mit Wii Sports, Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging und Art Academy kamen Titel auf den Markt, die klassische Abläufe von Videospielen zugunsten der Förderung körperlicher und geistiger Fitness hintanstellten – und damit völlig neue Bevölkerungsgruppen für digitale Spiele begeisterten.

Spiele, die den vermeintlich etablierten Vorstellungen von Video- und Computerspielen, aber auch dem Rollenbild des muskelbepackten Superhelden widersprachen, gehörten immer wieder zu den beliebtesten von Nintendo. Ein wesentlicher Grund dafür: Nintendos Spiele und ihre Hardware werden stets als Einheit betrachtet. So begreifen Nintendos Spieleentwickler Technologie nicht als sich in Rechenleistung erschöpfenden Selbstzweck, sondern als Erweiterung des jeweiligen Spielkonzeptes. Am Anfang steht eine Spielidee, die überraschen, die das Kind in uns ansprechen soll. Der kreative Aspekt beeinflusst den Prozess der technischen Machbarkeit daher ebenso, wie es auch umgekehrt der Fall ist.

Zudem setzte Nintendo bereits früh auf Mehrspieler-Konzepte. Die Menschen sollen im Spiel zusammengebracht werden – bestenfalls im gleichen Raum. In dem kürzlich erschienen Partyspiel Everybody 1-2-Switch! können bis zu 100 Spieler:innen lokal teilnehmen. Dabei achten die Entwickler stets darauf, Spiele möglichst zugänglich zu gestalten. Dank intuitiv verständlicher Handhabung und optionaler Hilfsfunktionen können Kinder und Jugendliche gemeinsam mit Eltern und Großeltern spielen. So gibt es bei dem Nintendo Switch-Spiel Mario Kart 8 Deluxe, das sich lokal mit bis zu 8 Spieler:innen und online mit bis zu 12 Personen spielen lässt, etwa die Schlau-Steuerung, eine Art Spurhalteassistent, oder die Autobeschleunigung. Diese Funktionen ermöglichen auch weniger erfahrenen Fahrer:innen die Teilhabe. Der Grundsatz „easy to learn, hard to master“ macht Nintendo-Titel für Anfänger:innen ebenso interessant wie für geübte Spielerinnen und Spieler – und schließt so alle ein, die dies wollen.

Zu all dem kommt ein weiterer Aspekt, dessen Zielsetzung aus Unternehmensperspektive zwar originär nicht der Integration dienen soll, dies aber indirekt durchaus tun kann: Interkulturalität. Nintendo-Spiele funktionieren in Asien ebenso wie in Europa oder den USA. Das erfordert neben intuitiver Verständlichkeit und universeller Spielideen auch die Berücksichtigung universeller Werte. Tagtäglich begegnen sich Nintendo Switch-Fans aller Länder und Kulturen online und in der direkten Begegnung. Auf diese Weise können Videospiele auch in Zusammenhang mit Migrationsthemen dazu beitragen, Menschen im Spiel zusammenzubringen sowie tragfähige gemeinsame Werte zu vermitteln und erlebbar zu machen.