Forschung

Zehn Leitfragen zur digitalen Erinnerungskultur

© Stiftung Digitale Spielekultur

Die vorliegenden zehn Leitfragen stellen ein wertvolles Werkzeug bei der Entwicklung von spielbasierten Digitalformaten dar, sei es ein kommerzielles Game oder eine interaktive Ausstellungsinstallation. Sie können jedoch nur der Anfang einer langfristigen Begleitung von digitalen Spielen als Gegenstand der Erinnerungskultur sein. Daher hat die Stiftung Digitale Spielekultur mit der Initiative Erinnern mit Games ein langfristiges Projekt ins Leben gerufen, das die bereits vorhandenen Ergebnisse aufgreift und erweitert. In Online-Artikeln, Podcasts und Live-Veranstaltungen werden wir uns weiter dem Potenzial von Games für die erinnerungskulturelle Arbeit widmen. Denn die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ebenso wie die Relevanz digitaler Spiele werden in Zukunft nur noch wachsen.

  • Welches erinnerungskulturelle Ziel verfolgt das Format?

Um einen positiven Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten, muss neben den Aspekten der Involvierung und Unterhaltung ebenso sichtbar werden, welches erinnerungskulturelle Ziel verfolgt wird – beispielsweise das Erinnern an ein konkretes Ereignis oder die Repräsentation von Betroffenen-Perspektiven

  • Welche Zielgruppe soll das Format in welchem lokalen Kontext erreichen?

Unterschiedliche Gesellschaftsgruppen haben auch verschiedenartige Zugänge zu digitalen Medien und am heimischen Computer werden andere Menschen erreicht als im Museum oder in einer Gedenkstätte. Wer in welchen sozial-räumlichen Zusammenhängen angesprochen werden soll, muss frühzeitig mitberücksichtigt werden

  • Werden historische Quellen und geschichtswissenschaftliche Expertise sinnvoll einbezogen?

Soll das Format erinnerungskulturellen Ansprüchen genügen, sind Expertise und eine genaue Quellenkunde unabdingbar. Welche Quellengrundlage warum genutzt wird und wie Expert*innen bei der Auswahl und Einordnung weiterhelfen können, sollte möglichst frühzeitig bedacht werden

  • Bilden die inhaltlichen und spielerischen Aspekte des Formats positive Synergieeffekte?

Geschichte ist ein interessantes Setting für nahezu jeden Spielverlauf. Bezogen auf die Erinnerungskultur ist es jedoch wichtig, dass das gewählte Genre, die Regelsysteme und Spielmechaniken nicht dem erinnerungskulturellen Ziel entgegenwirken – im Idealfall ergänzen sich Inhalt und Form.

  • Wie geht das Format mit historischen Leerstellen, Unschärfen und Kontroversen um?

Abgesehen von bewussten, strafbaren Geschichtsverfälschungen wie der ›Auschwitzlüge‹, werden geschichtliche Ereignisse unterschiedlich erzählt. Die Quellenlagen können dünn sein, Zeitzeug*innen sich manchmal unterschiedlich erinnern und auch die Geschichtswissenschaft ist sich nicht immer einig. Erinnerungskulturelle, spielbasierte Digitalformate sollten daher einen reflektierten und differenzierten Umgang mit Geschichte zeigen.

  • Repräsentiert das Format die verschiedenen und ambivalenten Perspektiven historischer Akteure?

Die Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus lassen sich nicht auf Stereotype herunterbrechen. Täter*innen sind in ideologische Kontexte eingebunden, Opfer sind keine passiven Objekte und auch die große Anzahl der Mitläufer*innen verfügt über darstellbare Handlungsspielräume. Spielbasierte Digitalformate sollten hier differenzierte Perspektiven eröffnen.

  • Verfolgt das Format originelle Ideen und innovative Strategien der Vermittlung?

Es muss ja nicht immer ein Ego-Shooter an den Stränden der Normandie sein. Eine Auseinandersetzung mit der Vielfalt an Themen und Ereignissen, die Bezug auf den Nationalsozialismus nehmen, kann auch auf spielerische Art und Weise er­folgen. Hierfür gilt es jedoch innovative spielerische Digitalformate zu entwickeln.

  • Setzt sich das Format mit der Bedeutung und Wirkkraft nationalsozialistischer Sprache und Ästhetik auseinander?

Die Begriffe, Bilder und Symbole, die in der Zeit des Nationalsozialismus entwickelt und verwendet wurden, sind Bestandteil nationalsozialistischer Ideologie. Sie sollten daher nicht unkritisch reproduziert werden, sondern müssen kontextualisiert und kritisch eingeordnet werden.

  • Berücksichtigt das Format mögliche darstellerische Grenzen und einhergehende ethische Fragestellungen?

Mit den innovativen Potentialen spielbasierter Digitalformate gehen neue Herausforderungen einher. Komplexe historische Zusammenhänge werden spielbar gemacht und virtuelle Realität schafft intensive Präsenzerfahrungen. Gerade wenn es um besonders schwerwiegende Aspekte der Zeit des Nationalsozialismus geht, droht die Gefahr der Verharmlosung oder Überforderung. Das Format lotet ethisch-verantwortungsvoll Fragen zur möglichen Spielrezeption und zum immersiven Spielerleben im Vorfeld aus.

  • Erfüllt das Format die gesetzlichen Rahmenbedingungen?

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber gerade bei der Auseinandersetzung mit der Zeit des  Nationalsozialismus ist besondere Sorgfalt notwendig, wenn es etwa um den Jugendschutz, die Darstellung von Gewalt oder die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole geht.

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