Auswärtsspiel: 3 Perspektiven auf Außenpolitik und Games
Das interdisziplinäre Projekt „Auswärtsspiel” der Stiftung Digitale Spielekultur, gefördert vom Auswärtigen Amt, verfolgt das Ziel, die Potenziale von digitalen Spielen zur Vermittlung von außenpolitischen Praktiken aufzuzeigen sowie für außenpolitische Bilder und Narrative in Games zu sensibilisieren.
Mirko Kruppa, Referatsleiter für Inlandskommunikation und Bürgerdialoge im Auswärtigen Amt, Manouchehr Shamsrizi, Co-Gründer des game.lab an der Humboldtuniversität zu Berlin und Leiter der Group for Gaming in International Relations der Humboldt-Innovation, sowie Tabea Widmann, Projektleitung „Auswärtsspiel”, schildern in diesem Blogbeitrag aus den Perspektiven von Außenpolitik, Wissenschaft und Stiftungsarbeit das Potenzial der Schnittstelle von digitalen Spielen und Außenpolitik.
Potenziale von Games für die Kommunikation von Außenpolitik (Public Diplomacy)
von Mirko Kruppa (ursprünglich erschienen in unserem Newsletter #3/2022)
Die Aktualität zeigt uns, dass außenpolitische Errungenschaften der vergangenen 30 Jahre wie weitgehender Frieden in Europa oder enormer Zuwachs an globalisiertem Wohlstand keineswegs selbstverständlich sind. Vielmehr erleben wir politische Polarisierung bis hin zu roher Gewalt gegen die Menschen in der Ukraine. Und schon länger entstehen Komfortzonen und weltanschauliche Filterblasen, was Dialog und Ausgleich zwischen den Gesellschaften erschwert. Games können diesen Trends begegnen, sie aber auch intensiveren. Denn ihre immersive Kraft schafft starke „Weltbilder“ und Begegnung. Spielen als älteste Kulturtechnik der Geselligkeit und des Lernens ist dank Digitalisierung heute als „Gaming“ auf dem Weg in ein scheinbar grenzenloses Metavers. Wie im Hauptmotiv „I see you“ des Blockbusters „Avatar“ geht es um erlebbaren Perspektivwechsel. Nur Games erlauben per „Avatar“ in andere Kontexte (vielleicht künftig als russischer Oligarch oder chinesische Beamtin) einzutauchen, deren „Authentizität” uns prägen. Trotz dieser Wirkmacht gibt es kein „Feuilleton“ zu Gaming-Inhalten, ihren polit-historischen Wurzeln, stereotypen Ausblendungen (u.a. Frauenbilder) oder eben Außenpolitikbezügen – nur wenige stellen sich bislang dieser „bildungspolitischen“ Verantwortung. Gleichzeitig ist das Wissen um diese Wirkungsmacht von digitalen Spielen und ihr damit verbundenes (außen-)politisches Vermittlungspotenzial vergleichsweise wenig verbreitet.
In der Inlandskommunikation des Auswärtigen Amtes suchen wir daher die Interaktion mit Millionen von Menschen, die sich im Kommunikationsraum „Gaming“ zusammenfinden. Wir wollen dabei die Simulationskraft von Games nutzen, um Funktionsweisen und Alltagsbezüge von Außenpolitik sichtbar zu machen. Außerdem wollen wir sensibilisieren für womöglich polarisierende (außen)politische Bilder wie auch für Desinformation begünstigende Designs von Games.
So ist „Civilization VI“ primär Entertainment und soll dies auch bleiben! Aber eine kritische Reflexion über „Barbaren“, deren Kultur oder politischen Anliegen ignoriert werden, sensibilisiert auch im echten Leben für empathisches Interesse am Fremden und denkbare außenpolitische Instrumente im Umgang. Gleiches gilt für auch in „Die Siedler“ oder der „Anno“-Serie zu findende imperiale Machtlogiken des 19. Jahrhunderts, die mit der Friedensordnung seit 1944/45 ja der Vergangenheit angehören sollten.
Games können aber noch besser innovative Impulse setzen, um außenpolitischen Austausch mit dessen Instrumenten zu reflektieren und ein tieferes Grundwissen über außenpolitische Themen und Mechanismen zu vermitteln. Im intensiveren Austausch zwischen Games, Wissenschaft und außenpolitischer Praxis sehen wir die Chance, einen neuen Blick auf Außenpolitik zu eröffnen und ebenso zu neuen Games-Formaten zu diesem Thema zu motivieren.
Gaming als Arena im Systemwettbewerb begreifen
von Manouchehr Shamsrizi
Vor nun einem halben Jahrzehnt „adelte“ die damalige Bundeskanzlerin (vollkommen zutreffend) Videospiele bei ihrem Besuch der gamescom „als Kulturgut, als Innovationsmotor und als Wirtschaftsfaktor“ – von außenpolitischen oder sicherheitspolitischen Aspekten war damals keine Rede. Wie sich diese Debatte allerdings weiterentwickelt hat, zeigte die vor wenigen Wochen getroffene Feststellung des Europäischen Parlaments, dass Videospiele potenziell Teil der „Soft Power“ der EU sein können.
Dennoch sind wir in dieser Debatte anderen Regionen der Welt hinterher: Sowohl auf demokratieförderliche Weise – das U.S. State Department beispielsweise nutzt Gaming seit 2013 im Rahmen seiner Anti-Terror-Strategie; ‚We want to go where young people are, more and more young people are online‘, begründete die damalige Under Secretary of State for Public Diplomacy dieses Engagement – aber insbesondere auch durch unsere autokratischen Systemwettbewerber China, Russland, Iran werden Chancen und Risiken der Nutzung von Gaming als Machtpolitik genutzt. Westliche Nachrichtendienste wie militärische Think-Tanks warnen seit Langem vor weitaus größerem Missbrauchspotenzialen durch staatliche und nicht-staatliche Akteure. Dem „Kulturgut, Innovationsmotor, und Wirtschaftsfaktor“ Gaming ergeht es dabei nicht anders als anderen Kulturgütern, Innovationsmotoren, und Wirtschaftsfaktoren – allerdings gibt es für Gaming in Deutschland und Europa einen aufzeigbaren, außenpolitisch relevanten Nachholbedarf in der gemeinsamen Reflexion von Industrie, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik.
Um diese Reflexion herbeizuführen, bedarf es eines gemeinsamen, interdisziplinären, handlungsorientierten Verständnisses dieser Chancen und Risiken, oder trivialisiert: Gaming-Industrie und -communities müssen den kultur-, aber eben auch außen- und sicherheitspolitischen Ansprüchen gerecht werden, mit denen in unserer Demokratie andere Kreativindustrien und Communities seit Jahrzehnten umgehen (müssen). Dafür bedarf es auch und initial einer gemeinsamen Sprache. „Im Systemwettbewerb dürfen wir keine strategischen Lücken lassen.“, forderte das Auswärtige Amt im November dieses Jahres – wenn Gaming nun also Teil der „Soft Power“ sein kann, aber noch nicht strategisch ist, haben wir hier eine solche Lücke. Eine strategische Lücke, die „Auswärtsspiel” durch seine einmalige Konstellation – und insbesondere eben durch das kritische Entwickeln einer gemeinsamen Sprache aller Beteiligten – hoffentlich zu schließen helfen vermag. Denn auch für unser Gamer gilt in Zeiten der Zeitenwende die Erkenntnis, die Cirilla Fiona Elen Riannon, das Löwenjunge von Cintra, mit dem Hexer Geralt von Riva teilte, nachdem sie sich entschied, doch Verantwortung als Kaiserin von Nilfgaard zu übernehmen: ‚If I wish to change anything, I cannot do so hunting monster around forgotten villages.‚
(Außen-)politische Power von digitalen Spielen
von Tabea Widmann
Als Brückenbauerin zwischen der Welt der digitalen Spiele und den zivilgesellschaftlichen wie politischen Institutionen in Deutschland begreift die Stiftung Digitale Spielekultur Games als wirkungsvolle kulturelle Medien: Sie stehen in engem Austausch mit öffentlichen Diskursen und aktuellen Gesellschaftsthemen genauso wie mit kulturellen Wertesystemen. Als populäre Medien bilden sie somit zugleich Ausdruck wie Spiegel der sie umgebenden Kulturen. Aus dieser Perspektive auf Games entwickelte die Stiftung daher das Projektkonzept von „Auswärtsspiel”, um damit das Potenzial dieses Mediums gerade für (außen-)politische Fragestellungen genauer zu beleuchten.
Ob es sich bei einem Spiel z.B. um ein Rollenspiel in einer fantastischen Spielwelt, einen historisch angelegten Ego-Shooter oder ein Multiplayer-Strategiespiel handelt – je nach Spielsetting und Spielformat unterscheidet sich maßgeblich, wie ein Spiel Inhalte ausdrückt. Mal steht die zu erspielende Geschichte als Vermittlungsebene im Vordergrund, mal vollzieht sich spielerische Sinnstiftung mehr über die zugrundeliegende Mechanik. Geht man dem Vermittlungspotenzial von digitalen Spielen nach, so gilt es also beide Ebenen auf ihre jeweiligen Grundlagen zu hinterfragen: Mit welchen Mitteln erlaubt es ein Spiel überhaupt, zu gewinnen und zu handeln? Welche Ikonen, also bereits mit Bedeutung aufgeladenen Bilder, nutzt ein Spiel? Und insbesondere, welche Wertesysteme sind an die dargestellten Bilder und Ästhetiken wie auch die zugrundeliegenden Handlungslogiken gebunden?
All diese Fragen können (außen-)politische Bezüge ausdrücken. Die politische Power von Games liegt somit unmittelbar in die Ästhetiken und Narrative der Spielwelten und ihrer Bilder eingebettet. Sie kann sich zudem über das algorithmische System, sprich die unbedingt geltenden Regeln und Mechaniken, ausdrücken. Wie können z.B. die Elfen, Zwerge und Orks in einer Fantasywelt überhaupt miteinander umgehen? Bestehen Allianzen oder Antipathien? Wie werden die Gegner*innen in einem Ego-Shooter dargestellt? Spiegeln sich in ihren Figuren stereotype Vorstellungen wider, die historischen – außenpolitischen – Beziehungen in Europa entspringen?
Das besondere Potenzial von digitalen Spielen sehen wir gerade darin, dass dieses Medium die Relevanz und Dringlichkeit solcher Fragestellungen vermitteln kann. Denn mithilfe ihrer immersiven Kraft involvieren sie ihre Spielenden kognitiv wie emotional und lassen sie ganz unmittelbar am Geschehen teilhaben. Damit kann es digitalen Spielen besonders gelingen, die Spieler*innen auf ihre eigene Handlungsmacht aufmerksam zu machen. Als kulturelle Medien mit (außen-)politischer Power können digitale Spiele dann darin fungieren: Als Räume, die den Spielenden die eigene Teilhabe, womöglich auch eigene Verantwortung vor Augen zu halten, die sich im Spieleakt mit den erzielten Erfolgen und der erspielten Geschichte ausdrückt.
Die Berührungsfläche von digitalen Spielen und Außenpolitik besteht aber nicht nur in einzelnen Spielen und ihren dargestellten Thematiken. Vielmehr spiegelt sich in der höchst aktuellen These, dass Spiele und das Spielen selbst politisch sind, ein weiterer Aspekt der Verbindung von Games und Außenpolitik wider: Denn sie verweist darauf, dass auch in der Spielentwicklung, dem Einsatz von Games und nicht zuletzt dem Austausch, der in zunehmend internationalen Games-Communities um sie entsteht, (außen-)politische Power liegt.
Umso wichtiger scheint es daher, beiden „Richtungen“ zwischen digitalen Spielen und Außenpolitik nachzugehen: Einerseits gilt es, nachzuverfolgen, welche (außen-)politischen Topoi und Praktiken bereits Einzug in Spielwelten erhalten haben. Andererseits mag gerade auch ein spielerisch geprägter Blick auf Außenpolitik zu einem aktivierenden Verständnis sowohl über das Medium wie über die eigene (außen-)politische Power verhelfen.
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Mit dem Anliegen, bereits zentrale Leitfragen zum Thema Außenpolitik und/mit Games zu entwickeln, tagte am 02. Dezember 2022 ein interdisziplinäres Expert*innen-Gremium mit Vertreter*innen aus Games-Granche, Außenpolitik und Zivilgesellschaft sowie der Wissenschaft. Im kommenden Jahr werden einige Expert*innen aus den vertretenen Feldern in Form von kurzen Interviews im Rahmen dieses Blogs den Dialog mit ihren Perspektiven auf das Thema und die Leitfragen weiter vertiefen.