Stefan Köhler hat sich seit Jahren sowohl praktisch als auch theoretisch mit Modifikationen digitaler Spiele auseinandergesetzt. Für die Stiftung Digitale Spielkultur beschreibt er die Geschichte dieses Phänomens und dessen Einfluss auf die Spielewelt – von den Anfängen in den 1960er Jahren bis heute.
Modifikationen können jedoch nicht nur während und innerhalb eines Spiels vorgenommen werden. Auch wenn analogen Brett- oder Kartenspielen oft seitenlange Gebrauchsanweisungen beiliegen, werden die darin vorgegebenen Regeln gerne an die jeweilige Spielsituation (zur Verfügung stehende Zeit, Anzahl der Spieler, deren Wünsche etc.) angepasst. Ein bekanntes Beispiel sind ‚Familienregeln‘, die von Familie zu Familie sehr unterschiedlich ausfallen können. Und auch wenn es oft scheint, dass solche Regeln im Spiel ausgehandelt werden, wird dieses für die damit verbundenen Diskussionen doch pausiert, so dass die Änderungen am Ende wieder außerhalb des Spiels stattfinden.
Eine weitere Möglichkeit, analoge Spiele extern zu modifizieren, besteht darin, Spielmaterialien (Figuren, Karten, Würfel etc.) zu bearbeiten oder hinzuzufügen und so im wahrsten Sinne des Wortes den Spielraum zu erweitern. Digitale Spiele erlauben potenziell noch umfangreichere und tiefergehende Zugriffe auf Inhalte und Abläufe, bis hinunter auf die Ebene von Einsen und Nullen, die je nach (Re-)Kombination theoretisch alles darstellen könnten. Neben technischen Grenzen wie fehlender Speicherkapazität und Rechenkraft entscheidet bei Modifikationen aber vor allem die Zugänglichkeit der Daten eines Programms, ob und in welchem Ausmaß dieses Potential ausgeschöpft werden kann, wie die folgende kleine Geschichte der Modifikationen digitaler Spiele zeigt:
Bereits Spacewar! (1962), das oft als erstes digitales Spiel bezeichnet wird, war untrennbar mit Modifikationen verbunden: Studenten am Massachusetts Institute for Technology (MIT) hatten dieses Programm ursprünglich als ‚Hack‘ geschrieben, um die Leistungsfähigkeit und Vielseitigkeit von Computern in der eindrucksvollsten Art und Weise zu demonstrieren.
Später wurde das Spiel, in dem sich zwei strichartige Raumschiffe mit Pixelraketen beschossen, ständig weiterentwickelt und verbessert. Während der Sternenhimmel beispielsweise in einer ersten Version aus zufällig platzierten Leuchtpunkten bestand, implementierte einer der Studenten ein Unterprogramm, das Sternbilder in ihrer Position und der unterschiedlichen Helligkeit ihrer Sterne realistisch darstellte. Andere ‚Hacker‘ passten die Regeln des Spiels nach ihren individuellen Vorstellungen an, indem sie einzelne Parameter des Programms veränderten, zum Beispiel das Verhalten der Torpedos. Dies alles war möglich, da der Quelltext des Spiels für jeden Studenten am MIT zugänglich war und so auch blieb, als Spacewar! auf Rechner in anderen Forschungseinrichtungen gelangte, wo es dadurch nicht nur begeistert gespielt, sondern auch weiter modifiziert wurde.
Auch Noland Bushnell machte so während seiner Studienzeit Bekanntschaft mit Spacewar! und entwickelte in der Folge 1972 mit Computer Space eine Adaption des Spiels in Form eines Arcade-Automaten. Um mit diesem Geld zu verdienen, ließ Bushnell, der später mit seiner Firma Atari und vor allem durch Pong weltberühmt wurde, das Spiel dabei auf einer Hardware von preisgünstigen, fest verdrahteten Transistoren laufen anstatt als Software auf einem der damals kaum erschwinglichen digitalen Computer. Während digitale Spiele einer kleinen akademischen Elite vorbehalten blieben, erreichten elektronische Spiele auf Automaten und ersten Heimkonsolen ein großes Publikum. Im Gegensatz zu den Hacker*innen konnten diese Spieler*innen jedoch meist keine oder nur vorgegebene Konfigurationen an den Spielen vornehmen, weil sie nicht so einfach auf die zugrundeliegende Hardware zugreifen und diese verändern konnten.
Erschwingliche programmierbare Heimcomputer wie der 1977 erschienene Apple II führten bald nicht nur zu einer steigenden Nachfrage bei digitalen Spielen, sondern versetzten ihre Nutzer*innen auch in die Lage, selbst Spiele zu entwickeln und zu verkaufen. Das Modding bestehender Spiele wurde dadurch weniger interessant, blieb aber weiterhin eine Möglichkeit für Programmierer*innen, ihre Fähigkeiten zu demonstrieren. Während die aufkommende Spieleindustrie solche Modifikationen an Spielen duldete, wenn sie jeweils nur die eigene Kopie betrafen, nahm sie bald einen bis heute andauernden Kampf gegen Hacker*innen auf, die im Sinne eines freien Informationsflusses Kopierschutzmaßnahmen in Spielen aushebelten. Um Anerkennung für ihre Fähigkeiten zu erlangen, stellten einige dieser ‚Cracker*innen‘ den von ihnen modifizierten Spielen eigene Intros voran, die ihre Hacker*innen-Namen oft sogar mit Musik und Animationen präsentierten, oder fügten neue Informationen in die originalen Ladebildschirme ein. Zwei amerikanische Schüler gingen 1983 schließlich noch einen Schritt weiter, indem sie zusätzlich die in Spielen vorkommenden Grafik- und Sounddateien ersetzten. Anstelle von Nazis als Gegnern sah sich der Spieler so beispielsweise in ihrer Parodie des Spiels Castle Wolfenstein einer völlig anderen Gefahr gegenüber: Schlümpfen!
Da Spielprogramme ab den 1980ern meist nicht mehr als Quelltext vorlagen und immer komplexer wurden, hing die Möglichkeit, Modifikationen vornehmen zu können, zunehmend davon ab, wie zugänglich bestimmte Daten waren beziehungsweise ob es Programme (‚Tools‘) gab, die ein Auslesen und Bearbeiten einzelner Inhalte erlaubten. Als id Software 1992 einen in Deutschland indizierten Titel veröffentlichte, untersuchten Hacker*innen die Daten dieses Spiels, bis es ihnen gelang, Tools zu entwickeln, mit denen auch Spieler*innen Inhalte wie Grafiken, Sounds und sogar ganze Level nicht nur verändern, sondern auch neu erstellen konnten. Durch das aufkommende Internet mit ersten virtuellen Foren, sogenannten Bulletin Board Systems, wurde es zudem möglich, diese ‚add-ons‘ genannten Pakete aus modifizierten Dateien an andere Spieler*innen weiterzuverbreiten. Entgegen ihrer Bezeichnung fügten solche Datenpakete aber nicht nur Inhalte hinzu, sondern überschrieben oft auch Originaldateien des zugrundeliegenden Spiels, was nur durch eine Neuinstallation wieder behoben werden konnte. Das nächste Spiel von id Software, Doom (1993), führte daher die Möglichkeit ein, von Spieler*innen erstellte Inhalte nur noch temporär zu laden. Auf diese Weise etablierte sich eine bis heute gängige Praxis und Vorstellung von technisch und schließlich auch kulturell separaten Datenpaketen, oft kurz ‚Mods‘ genannt, die idealerweise die Originaldateien eines Spiels unangetastet lassen – idealerweise, da es weiterhin Modifikationen an Spielen gibt, die wie offizielle Patches direkte und permanente Manipulationen am Code vornehmen.
Mit Doom zeigte id Software bereits prototypisch, wie Spieleentwickler*innen von der Modifizierbarkeit ihrer Produkte profitieren können: Dass zum einen die Erstellung und Nutzung von Mods eine installierte Vollversion des zugrundeliegenden Spiels voraussetzte, erhöhte dessen Wert für Spieler*innen und damit die Verkaufszahlen. Zum anderen konnte id Software Autor*innen von Mods als Mitarbeiter*innen rekrutieren, die nicht nur bereits ihr Können unter Beweis gestellt hatten, sondern auch schon mit der Entwicklungsumgebung des Studios vertraut waren. Der nächste Meilenstein ließ so nicht lange auf sich warten: Quake (1996) war von Anfang an auf Modifizier- und Erweiterbarkeit ausgelegt, sodass es nicht nur die Kreation neuer Gameplay-Varianten (wie Capture The Flag und Team Fortress) begünstigte, sondern besonders im Multiplayer-Modus schließlich zu einem gemeinsamen Werk von Entwickler*innen und Spieler*innen wurde. Letztere programmierten neben Anti-Cheat-Software beispielsweise erstmals ‚Bots‘, also vom Computer gesteuerte Spielfiguren, die für fehlende menschliche Spieler*innen einsprangen. Ohne die Modifizierbarkeit von Quake, die nun erlaubte, das Aussehen von dreidimensionalen Figuren und Levels nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, wäre auch aus der Möglichkeit, einzelne Partien in diesem Spiel aufzunehmen und später als Filme wiederzugeben, nicht am Ende eine neue Kunstform entstanden – Machinima. Einen so entstandenen Machinima-Film zeigt das folgende Video:
Obwohl bereits id Software erfolgreiche bzw. hochqualitative Modifikationen als eigenständige Spiele verkauft hatte, gilt Counter-Strike (1999), das zunächst als eine Mod für den Egoshooter Half-Life (1998) entwickelt worden war, bisher als bekanntestes und erfolgreichstes Beispiel dafür, wie die Spieleindustrie von der Kreativität der Spieler*innen profitieren kann, wenn sie diesen den Zugang zu ihren Programmen erleichtert, zum Beispiel durch das Bereitstellen von Level-Editoren. Counter-Strike stellt dabei eine extreme Form von Modifikationen dar, eine sogenannte ‚Total Conversion‘, die sich nicht nur von den Inhalten her drastisch vom Originalspiel unterschied, auf dem sie aufbaute, sondern auch vom Gameplay: Während Spieler*innen in Half-Life weitestgehend auf sich gestellt eine außerirdische Invasion aufhalten mussten, traten sie bei Counter-Strike als Terroristen und Antiterroreinheiten in Teams gegeneinander an, um als eines der möglichen Spielziele Bomben zu legen beziehungsweise zu entschärfen. Die Entwickler*innen von Half-Life (Valve Software) profitierten dabei zunächst davon, dass durch die Beliebtheit der Counter-Strike-Mod das Interesse an ihrem Spiel wach gehalten wurde, und schließlich auch durch den Verkauf einer eigenständigen Version von Counter-Strike, die nicht mehr länger eine Installation von Half-Life voraussetzte und am Ende den Grundstein für eine eigene Spielereihe legte. Die 2012 erschienene Mod DayZ (basierend auf Armed Assault II), die Spieler in einer Welt voller Zombies um ihr Leben kämpfen lässt, könnte Counter-Strike jedoch bald den Titel als bisher erfolgreichste kommerzialisierte Mod streitig machen. Als eigenständiges Spiel konnte DayZ schließlich bereits in der Alpha-Version binnen eines Tages umgerechnet mehr als vier Millionen Euro Umsatz verbuchen. Obwohl auch andere in letzter Zeit erfolgreiche Spiele wie Dear Esther, The Stanley Parable und Antichamber aus Mods hervorgegangen sind, gibt es bis heute dennoch immer wieder Bestrebungen, Spieler*innen den Zugriff auf Spieldaten zu verwehren. Offiziell wird dies beispielsweise im Fall von Battlefield 3 (2011) damit begründet, dass Modifikationen andere Spieler*innen im Multiplayer benachteiligen könnten (Cheating), inoffiziell dürfte aber auch das Interesse mitschwingen, Zusatzinhalte, wie etwa neue Maps, zu den eigenen Spielen verkaufen zu können, die keine Konkurrenz durch kostenlose Mods von Spieler*innen zu fürchten haben.
Modifikationen sind trotz solcher Hindernisse nicht mehr aus der digitalen Spielkultur wegzudenken, da sie diese bereichern, indem sie Spiele mit neuen Inhalten erweitern oder verbessern und weiterentwickeln. In einigen Fällen liefern sie der Spieleindustrie dabei neue Ideen, in anderen Fällen gelingt ihnen, was zuvor nicht für möglich gehalten wurde beziehungsweise nicht erwünscht war. So war es 2013 erst durch eine Mod möglich, die Städtebausimulation Sim City auch ohne Internetverbindung zu spielen. Das Entwicklungsstudio Maxis musste daraufhin nicht nur frühere Aussagen revidieren, dass ein solches Feature technisch nicht umzusetzen sei, sondern vollzog erfreulicherweise eine noch radikalere Kehrtwende, indem es ankündigte, Offline-Spielen auch durch ein offizielles Update zu ermöglichen und das Modifizieren von Spielinhalten in Zukunft aktiv zu unterstützen.
Das alles war natürlich nur eine kleine Auswahl an Geschichten rund um die Kultur der Modifikationen digitaler Spiele. Wer mehr zum Thema erfahren möchte, beispielsweise, wie eine winzige Modifikation an dem Spiel Grand Theft Auto: San Andreas den Publisher Take Two 20 Millionen Dollar kostete, ist daher herzlich eingeladen, einen Blick auf die folgende Liste weiterführender Literatur zu werfen:
Datenbank für Modifikationen digitaler Spiele
Levy, Steven (1994). Hackers. Heroes of the computer revolution. London: Penguin.
Kushner, David (2004). Masters of Doom. How two guys created an empire and transformed pop culture. New York: Random House.
Artikel von Stefan Köhler in den Ausgaben 1-4 des Games-Kultur-Magazins WASD
Stefan Köhler, Jahrgang 1982 und wohnhaft in Salzgitter, schloß 2010 sein Studium der Szenischen Künste an der Universität Hildesheim mit einer Diplomarbeit über die mediengeschichtliche Entwicklung von Modifikationen an Computerspielen ab. Als freiberuflicher Autor/Lektor/Übersetzer für (Serious) Games war er unter anderem an den Point&Click-Adventures Winterfest – Lernspiel für funktionale Analphabeten (Serious Games Award 2011), A New Beginning (Bestes Deutsches Spiel beim Deutschen Computerspielpreis 2011) und Deponia beteiligt.